Niedersächsisches Finanzgericht: Haftungsbescheid wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung bei vorhandenem Verlustvortrag

Bei Bestehen eines ausreichend hohen vortragsfähigen Verlustabzugs führt die Nacherklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen mangels Schadens nicht zu einer Haftung als Steuerhinterzieher.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

2. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat die Klägerin mit dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des EM nach § 71 AO für die Haftungsbeträge in Anspruch genommen.

a. Bei der Frage, ob jemand den Tatbestand einer Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 AO verwirklicht hat, ist zunächst zu unterscheiden nach den beiden im Gesetz genannten Varianten „Steuerverkürzung“ und „Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile“. Zwar weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass auch in der Feststellung eines zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs die Erlangung eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils und damit eine Steuerhinterziehung liegen kann. Allerdings ist zu beachten, dass es sich bei der Feststellung eines zu hoch festgestellten vortragsfähigen Verlustabzugs einerseits und einer verkürzten Einkommensteuer andererseits für dasselbe Streitjahr um zwei sich gegenseitig ausschließende Sachverhaltsvarianten handelt, bei denen jedoch gleichermaßen ein Taterfolg i.S.d. § 370 Abs. 1 AO eingetreten wäre (vgl. BGH-Urteil vom 2. November 2010 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294, juris).

Danach konnte EM durch die Feststellung des zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs zum 31. Dezember 1999 den Tatbestand einer Steuerhinterziehung verwirklicht und die Klägerin dazu Beihilfe geleistet haben, selbst wenn es nicht zu einer Verkürzung gekommen ist.

b. Dies reicht aber allein für die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners nach § 71 AO nicht aus. Für die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners als Täter oder Teilnehmer einer solchen Steuerhinterziehung nach § 71 AO kommt es darüber hinaus noch darauf an, inwieweit durch diese Beteiligung an der Tat dem Steuergläubiger ein Schaden entstanden ist. Dies ergibt sich aus dem Schadensersatzcharakter der Haftung. Ein Steuerhinterzieher haftet also trotz seiner Tat dann nicht, wenn überhaupt kein Schaden entstanden ist.

c. Weiterhin muss der eingetretene Schaden gerade durch das Verhalten bewirkt worden sein, das der Steuergläubiger dem Haftenden im Rahmen der Inanspruchnahme vorwirft, also Gegenstand des Haftungstatbestands ist. Dies ergibt sich aus der Sachverhaltsbezogenheit der Haftung.

Nach diesen Grundsätzen ist der angefochtene Haftungsbescheid zu beanstanden. Zu Unrecht geht der Beklagte davon aus, durch das Verschweigen der Zinseinnahmen auf dem gemeinsamen Konto der Ehegatten bei der Schweizer Bank habe die Klägerin mit der Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr an einer Steuerhinterziehung des EM teilgenommen und dem Steuergläubiger einen Schaden zugefügt. Zwar mag die Klägerin Teilnehmerin einer Steuerhinterziehung des EM dergestalt gewesen sein, dass sie die Feststellung eines zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs zum 31. Dezember 1999 bewirkt und dadurch EM einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil erlangt hat. Dieser nicht gerechtfertigte Steuervorteil hat aber bis zum Erlass des Einkommensteueränderungsbescheids aufgrund der Betriebsprüfung, also dem Bescheid vom 9. Juni 2005, weder zu einer Steuerverkürzung noch zu einem Schaden geführt. Im Gegenteil ist der Klägerin darin zuzustimmen, dass die Angabe der Zinseinnahmen in zutreffender Höhe schon in der Einkommensteuererklärung nichts an der erklärungsgemäßen Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres 1999 geändert hätte. Sie wäre nämlich wegen des bestehenden vortragsfähigen Verlustabzugs weiterhin bei 0 DM verblieben. Lediglich der nicht gerechtfertigte Steuervorteil durch die zu hohe Feststellung des vortragsfähigen Verlustabzugs wäre entfallen.

Die Klägerin hatte zudem bereits im Jahr 2002 darauf hingewiesen, dass die in der Einkommensteuererklärung gemachten Angaben zu den Einkünften aus Kapitalvermögen unzutreffend seien. Der Beklagte wartete aber bis zum Abschluss der Betriebsprüfung und der Klärung der Frage der Zurechnung eines Sanierungsgewinns und dessen Steuerfreiheit, bis er dann im Jahr 2005 einen Einkommensteueränderungsbescheid erließ und u.a. die nacherklärten und um Schätzungsbeträge erhöhten Zinseinnahmen ansetzte. Hätte der Beklagte schon im Jahr 2002 einen Zwischenänderungsbescheid erlassen und darin bereits die dann erst später angesetzten Zinseinkünfte erfasst, wäre es immer noch bei einer Einkommensteuerfestsetzung von 0 DM geblieben. Es ist sogar davon auszugehen, dass der Betriebsprüfer und ihm folgend der Beklagte aus diesem Grund bewusst auf eine solche Zwischenänderung verzichtet hat. Dies ist aber der Klägerin nicht anzulasten.

Der Beklagte beachtet nicht, dass es im gesetzlichen Tatbestand der Steuerhinterziehung mehrere Varianten gibt und sieht die Erlangung eines steuerlichen Vorteils für die Haftung als ausreichend an. Er meint, eine Gefährdung des Steueranspruchs reiche aus. Dies ist aber im Bereich der Haftung nach § 71 AO unzutreffend. Hier muss vielmehr ein konkreter Schaden eintreten. Ein solcher tritt aber in der Regel nur bei einer Steuerverkürzung ein. Für den Fall des zu hoch festgestellten vortragsfähigen Verlustabzugs wäre also erforderlich, dass dieser sich letztlich in einer zu niedrigen Steuerfestsetzung ausgewirkt hat. Nur in Höhe dieser konkreten Auswirkung kann ein Schaden eintreten. Hätte also im Streitfall z.B. der zum 31. Dezember 1999 zu hoch festgestellte vortragsfähige Verlustvortrag sich im Folgejahr 2000 ausgewirkt und zu einer ungerechtfertigten Steuererstattung von Einkommensteuer 2000 geführt, so könnte die Klägerin für diese Steuer haften, wenn die Rückforderung dieser Erstattung nicht mehr zu realisieren wäre.

Im Streitfall jedoch hat sich der zum 31. Dezember 1999 zu hoch festgestellte vortragsfähige Verlustabzug nicht ausgewirkt. Dem Steuergläubiger ist dadurch weder eine Steuerfestsetzung entgangen noch eine Steuer zu Unrecht erstattet worden. Ihm ist somit kein Schaden entstanden.

Die vom Beklagten für seine Auffassung angeführte Rechtsprechung des BGH besagt nichts anderes. Auch der BGH unterscheidet, wie oben dargestellt, die beiden Varianten bei der Tatbestandsverwirklichung, wenn er die Voraussetzungen der Vorschrift des § 370  AO prüft.

So führt der BGH aus, dass der Umstand, dass Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung ihr angestrebtes (End-)Ziel einer Steuerverkürzung erst mit der zu niedrigen Festsetzung der Einkommensteuer in den Einkommensteuerbescheiden erreichen, der Annahme eines in der bindenden Feststellung unrichtiger Besteuerungsgrundlagen liegenden Steuervorteils nicht entgegenstehe (BGH-Urteil vom 10. Dezember 2008 1 StR 322/08, BGHSt 53,99, a.A. Sorgenfrei, wistra 2006, 370, 374). Die durch die Umsetzung der festgestellten unrichtigen Besteuerungsgrundlagen bei der Steuerfestsetzung in den Folgebescheiden bewirkte Steuerverkürzung stelle lediglich einen weitergehenden Taterfolg dar, der insbesondere für den Zeitpunkt der Tatbeendigung und damit für den Verjährungsbeginn der Steuerhinterziehung von Bedeutung ist (vgl. BGH wistra 1984, 142). Die Tatvollendung durch Erlangung eines bereits in der bindenden Feststellung der Besteuerungsgrundlagen liegenden Steuervorteils werde dadurch jedoch nicht in Frage gestellt (vgl. Joecks aaO § 376 Rdn. 21a; a.A. Beckemper NStZ 2002, 518, 521). Die mehrfache Verwirklichung eines tatbestandlichen Erfolgs steht im Einklang mit der Rechtsnatur der Steuerhinterziehung im Feststellungs- und Festsetzungsverfahren als Gefährdungsdelikt (vgl. Joecks aaO § 370 Rdn. 15; Hardtke/Leip, NStZ 1996, 217, 220).

Unrichtige Feststellungsbescheide können also bereits zur Vollendung des Tatbestands der Steuerhinterziehung führen. Aber erst mit der Umsetzung der Feststellungen des Feststellungsbescheides in den Einkommensteuerbescheiden würden jeweils die gegen die Feststellungsbeteiligten gerichteten Steueransprüche verkürzt (vgl. § 370 Abs. 4 AO).

d. Dem Einwand der Klägerin, eine Steuer sei nicht verkürzt, weil bei zutreffender Erklärung der Kapitaleinkünfte schon in der Einkommensteuererklärung wegen des zum 31. Dezember 1998 festgestellten Verlustvortrags dennoch keine Einkommensteuer festzusetzen gewesen wäre, lässt sich auch nicht durch Verweis auf das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO begegnen. Für den von Amts wegen zu berücksichtigenden vortragsfähigen Verlustvortrag gilt nämlich das Kompensationsverbot nicht. Denn mit "anderen Gründen" i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO sind nur solche Tatsachen gemeint, auf die sich der Täter nicht bereits im Besteuerungsverfahren berufen hat (BGH-Urteile vom 28. Januar 1987 - 3 StR 373/86, NJW 1987, 1273 und vom 2. November 2010 1 StR 544/09 NStZ 2011, 294; H/H/Sp-Hellmann § 370 AO Rz. 193, Jäger in Klein, AO, 11. Aufl., § 370 Rn. 137, noch a. A. BGH-Urteil vom 26. Juni 1984 5 StR 322/84, wistra 1984, 183, HFR 1985, 40, juris). Steuervorteile, die dem Täter schon aufgrund seiner Angaben zustanden, dürfen ihm im Steuerstrafverfahren nicht vorenthalten werden (BGH, Urteil vom 31. Januar 1978 - 5 StR 458/77; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 177. Aufl., EL 153 § 370 AO Rn. 46). Eine Steuerverkürzung wäre also in diesem Fall nicht gegeben.

Nach alledem waren Haftungsbescheid und Einspruchsentscheidung aufzuheben.

 Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 11.06.2012, 11 K 257/10

 

09.01.2013, Dr. Jochen Bachmann

Bei Bestehen eines ausreichend hohen vortragsfähigen Verlustabzugs führt die Nacherklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen mangels Schadens nicht zu einer Haftung als Steuerhinterzieher.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

2. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat die Klägerin mit dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des EM nach § 71 AO für die Haftungsbeträge in Anspruch genommen.

a. Bei der Frage, ob jemand den Tatbestand einer Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 AO verwirklicht hat, ist zunächst zu unterscheiden nach den beiden im Gesetz genannten Varianten „Steuerverkürzung“ und „Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile“. Zwar weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass auch in der Feststellung eines zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs die Erlangung eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils und damit eine Steuerhinterziehung liegen kann. Allerdings ist zu beachten, dass es sich bei der Feststellung eines zu hoch festgestellten vortragsfähigen Verlustabzugs einerseits und einer verkürzten Einkommensteuer andererseits für dasselbe Streitjahr um zwei sich gegenseitig ausschließende Sachverhaltsvarianten handelt, bei denen jedoch gleichermaßen ein Taterfolg i.S.d. § 370 Abs. 1 AO eingetreten wäre (vgl. BGH-Urteil vom 2. November 2010 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294, juris).

Danach konnte EM durch die Feststellung des zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs zum 31. Dezember 1999 den Tatbestand einer Steuerhinterziehung verwirklicht und die Klägerin dazu Beihilfe geleistet haben, selbst wenn es nicht zu einer Verkürzung gekommen ist.

b. Dies reicht aber allein für die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners nach § 71 AO nicht aus. Für die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners als Täter oder Teilnehmer einer solchen Steuerhinterziehung nach § 71 AO kommt es darüber hinaus noch darauf an, inwieweit durch diese Beteiligung an der Tat dem Steuergläubiger ein Schaden entstanden ist. Dies ergibt sich aus dem Schadensersatzcharakter der Haftung. Ein Steuerhinterzieher haftet also trotz seiner Tat dann nicht, wenn überhaupt kein Schaden entstanden ist.

c. Weiterhin muss der eingetretene Schaden gerade durch das Verhalten bewirkt worden sein, das der Steuergläubiger dem Haftenden im Rahmen der Inanspruchnahme vorwirft, also Gegenstand des Haftungstatbestands ist. Dies ergibt sich aus der Sachverhaltsbezogenheit der Haftung.

Nach diesen Grundsätzen ist der angefochtene Haftungsbescheid zu beanstanden. Zu Unrecht geht der Beklagte davon aus, durch das Verschweigen der Zinseinnahmen auf dem gemeinsamen Konto der Ehegatten bei der Schweizer Bank habe die Klägerin mit der Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr an einer Steuerhinterziehung des EM teilgenommen und dem Steuergläubiger einen Schaden zugefügt. Zwar mag die Klägerin Teilnehmerin einer Steuerhinterziehung des EM dergestalt gewesen sein, dass sie die Feststellung eines zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs zum 31. Dezember 1999 bewirkt und dadurch EM einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil erlangt hat. Dieser nicht gerechtfertigte Steuervorteil hat aber bis zum Erlass des Einkommensteueränderungsbescheids aufgrund der Betriebsprüfung, also dem Bescheid vom 9. Juni 2005, weder zu einer Steuerverkürzung noch zu einem Schaden geführt. Im Gegenteil ist der Klägerin darin zuzustimmen, dass die Angabe der Zinseinnahmen in zutreffender Höhe schon in der Einkommensteuererklärung nichts an der erklärungsgemäßen Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres 1999 geändert hätte. Sie wäre nämlich wegen des bestehenden vortragsfähigen Verlustabzugs weiterhin bei 0 DM verblieben. Lediglich der nicht gerechtfertigte Steuervorteil durch die zu hohe Feststellung des vortragsfähigen Verlustabzugs wäre entfallen.

Die Klägerin hatte zudem bereits im Jahr 2002 darauf hingewiesen, dass die in der Einkommensteuererklärung gemachten Angaben zu den Einkünften aus Kapitalvermögen unzutreffend seien. Der Beklagte wartete aber bis zum Abschluss der Betriebsprüfung und der Klärung der Frage der Zurechnung eines Sanierungsgewinns und dessen Steuerfreiheit, bis er dann im Jahr 2005 einen Einkommensteueränderungsbescheid erließ und u.a. die nacherklärten und um Schätzungsbeträge erhöhten Zinseinnahmen ansetzte. Hätte der Beklagte schon im Jahr 2002 einen Zwischenänderungsbescheid erlassen und darin bereits die dann erst später angesetzten Zinseinkünfte erfasst, wäre es immer noch bei einer Einkommensteuerfestsetzung von 0 DM geblieben. Es ist sogar davon auszugehen, dass der Betriebsprüfer und ihm folgend der Beklagte aus diesem Grund bewusst auf eine solche Zwischenänderung verzichtet hat. Dies ist aber der Klägerin nicht anzulasten.

Der Beklagte beachtet nicht, dass es im gesetzlichen Tatbestand der Steuerhinterziehung mehrere Varianten gibt und sieht die Erlangung eines steuerlichen Vorteils für die Haftung als ausreichend an. Er meint, eine Gefährdung des Steueranspruchs reiche aus. Dies ist aber im Bereich der Haftung nach § 71 AO unzutreffend. Hier muss vielmehr ein konkreter Schaden eintreten. Ein solcher tritt aber in der Regel nur bei einer Steuerverkürzung ein. Für den Fall des zu hoch festgestellten vortragsfähigen Verlustabzugs wäre also erforderlich, dass dieser sich letztlich in einer zu niedrigen Steuerfestsetzung ausgewirkt hat. Nur in Höhe dieser konkreten Auswirkung kann ein Schaden eintreten. Hätte also im Streitfall z.B. der zum 31. Dezember 1999 zu hoch festgestellte vortragsfähige Verlustvortrag sich im Folgejahr 2000 ausgewirkt und zu einer ungerechtfertigten Steuererstattung von Einkommensteuer 2000 geführt, so könnte die Klägerin für diese Steuer haften, wenn die Rückforderung dieser Erstattung nicht mehr zu realisieren wäre.

Im Streitfall jedoch hat sich der zum 31. Dezember 1999 zu hoch festgestellte vortragsfähige Verlustabzug nicht ausgewirkt. Dem Steuergläubiger ist dadurch weder eine Steuerfestsetzung entgangen noch eine Steuer zu Unrecht erstattet worden. Ihm ist somit kein Schaden entstanden.

Die vom Beklagten für seine Auffassung angeführte Rechtsprechung des BGH besagt nichts anderes. Auch der BGH unterscheidet, wie oben dargestellt, die beiden Varianten bei der Tatbestandsverwirklichung, wenn er die Voraussetzungen der Vorschrift des § 370  AO prüft.

So führt der BGH aus, dass der Umstand, dass Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung ihr angestrebtes (End-)Ziel einer Steuerverkürzung erst mit der zu niedrigen Festsetzung der Einkommensteuer in den Einkommensteuerbescheiden erreichen, der Annahme eines in der bindenden Feststellung unrichtiger Besteuerungsgrundlagen liegenden Steuervorteils nicht entgegenstehe (BGH-Urteil vom 10. Dezember 2008 1 StR 322/08, BGHSt 53,99, a.A. Sorgenfrei, wistra 2006, 370, 374). Die durch die Umsetzung der festgestellten unrichtigen Besteuerungsgrundlagen bei der Steuerfestsetzung in den Folgebescheiden bewirkte Steuerverkürzung stelle lediglich einen weitergehenden Taterfolg dar, der insbesondere für den Zeitpunkt der Tatbeendigung und damit für den Verjährungsbeginn der Steuerhinterziehung von Bedeutung ist (vgl. BGH wistra 1984, 142). Die Tatvollendung durch Erlangung eines bereits in der bindenden Feststellung der Besteuerungsgrundlagen liegenden Steuervorteils werde dadurch jedoch nicht in Frage gestellt (vgl. Joecks aaO § 376 Rdn. 21a; a.A. Beckemper NStZ 2002, 518, 521). Die mehrfache Verwirklichung eines tatbestandlichen Erfolgs steht im Einklang mit der Rechtsnatur der Steuerhinterziehung im Feststellungs- und Festsetzungsverfahren als Gefährdungsdelikt (vgl. Joecks aaO § 370 Rdn. 15; Hardtke/Leip, NStZ 1996, 217, 220).

Unrichtige Feststellungsbescheide können also bereits zur Vollendung des Tatbestands der Steuerhinterziehung führen. Aber erst mit der Umsetzung der Feststellungen des Feststellungsbescheides in den Einkommensteuerbescheiden würden jeweils die gegen die Feststellungsbeteiligten gerichteten Steueransprüche verkürzt (vgl. § 370 Abs. 4 AO).

d. Dem Einwand der Klägerin, eine Steuer sei nicht verkürzt, weil bei zutreffender Erklärung der Kapitaleinkünfte schon in der Einkommensteuererklärung wegen des zum 31. Dezember 1998 festgestellten Verlustvortrags dennoch keine Einkommensteuer festzusetzen gewesen wäre, lässt sich auch nicht durch Verweis auf das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO begegnen. Für den von Amts wegen zu berücksichtigenden vortragsfähigen Verlustvortrag gilt nämlich das Kompensationsverbot nicht. Denn mit "anderen Gründen" i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO sind nur solche Tatsachen gemeint, auf die sich der Täter nicht bereits im Besteuerungsverfahren berufen hat (BGH-Urteile vom 28. Januar 1987 - 3 StR 373/86, NJW 1987, 1273 und vom 2. November 2010 1 StR 544/09 NStZ 2011, 294; H/H/Sp-Hellmann § 370 AO Rz. 193, Jäger in Klein, AO, 11. Aufl., § 370 Rn. 137, noch a. A. BGH-Urteil vom 26. Juni 1984 5 StR 322/84, wistra 1984, 183, HFR 1985, 40, juris). Steuervorteile, die dem Täter schon aufgrund seiner Angaben zustanden, dürfen ihm im Steuerstrafverfahren nicht vorenthalten werden (BGH, Urteil vom 31. Januar 1978 - 5 StR 458/77; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 177. Aufl., EL 153 § 370 AO Rn. 46). Eine Steuerverkürzung wäre also in diesem Fall nicht gegeben.

Nach alledem waren Haftungsbescheid und Einspruchsentscheidung aufzuheben.

 Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 11.06.2012, 11 K 257/10

 

09.01.2013, Dr. Jochen Bachmann

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