FG Bremen: Keine Zugangsfiktion, wenn Aufgabe zur Post nicht datierbar

Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein Steuerbescheid am dritten Tag nach seiner Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Das FG Bremen hält die Vorschrift aber nicht für anwendbar, wenn lediglich das Datum der Weiterleitung eines Bescheides an eine zentrale Versendestelle, nicht aber der tatsächliche Tag seiner Aufgabe zur Post feststellbar ist. Der Bundesfinanzhof hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, allerdings ohne die Rechtsgrundsätze des FG in Frage zu stellen. Orientierungssatz 1. Die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO ist nicht anwendbar, wenn nur das Datum eines Steuerbescheides, nicht aber das Datum seiner Aufgabe zur Post feststeht. Ist nur feststellbar, wann ein Bescheid durch das FA zum Versand an eine zentrale Versendestelle weitergeleitet wurde, nicht jedoch, wann der Bescheid seitens dieser Stelle zur Post aufgegeben wurde, hat das FA nach § 122 Abs. 2, 2. Halbsatz AO den Zugang des Bescheides und den Zeitpunkt des Zuganges nachzuweisen. Unklarheiten in dieser Frage gehen zu Lasten des FA.Aus den Gründen I. Nach § 355 Abs. 1 Satz 1 AO beträgt die Frist für die Einlegung des Einspruchs gegen Verwaltungsakte in Abgabenangelegenheiten i.S.d. § 347 Abs. 1 AO einen Monat. Sie beginnt im Fall des § 355 Abs. 1 AO 1977 mit der Bekanntgabe des Bescheides (§ 122 AO). 1. Bei Zusendung eines Steuerbescheides durch einfachen Brief gilt die Bekanntgabe innerhalb des Geltungsbereiches der Abgabenordnung nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 als bewirkt mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post, es sei denn, dass die Entscheidung nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1999, III R 37/97, BFHE 190, 292, BStBl. II 2000, 175, BFH/NV 2000, 626; so auch die Rechtsmittelbelehrung in den angefochtenen Bescheiden des Beklagten). 2. Der Dreitages-Zeitraum des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gilt nicht, wenn der Empfänger substantiiert bestreitet, den Verwaltungsakt (die Einspruchsentscheidung) innerhalb dieser drei Tage erhalten zu haben, wenn er also Tatsachen vorträgt, die schlüssig auf einen späteren Zugang hindeuten und deshalb Zweifel an der Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 begründen. Sind solche Zweifel vorgetragen und begründet worden, so ist der Sachverhalt aufzuklären, die festgestellten und unstreitigen Umstände sind im Wege freier Beweiswürdigung gegeneinander abzuwägen. Nach § 122 Abs. 2, 2. Halbsatz AO 1977 hat die Behörde im Zweifel den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zuganges nachzuweisen (BFH-Urteile vom 9. Dezember 1999, III R 37/97, BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175, BFH/NV 2000, 626, vom 17. Juni 1997 IX R 79/95, BFH/NV 1997, 828, und 8. Februar 1996 III R 127/93, BFH/NV 1996, 850, m.w.N.). Die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 ist weiter auch dann nicht anwendbar, wenn nur das Datum eines Bescheides, nicht aber das Datum seiner Aufgabe zur Post feststeht (BFH-Urteil vom 22. Mai 2002, VIII R 53/00, BFH/NV 2002, 1417). Denn die Vermutung des Zuganges knüpft an das Datum der Aufgabe des Bescheides zur Post an. Dieses ergibt sich nicht zwingend aus dem Bescheiddatum (BFH a.a.O. und BFH-Urteil vom 3. Mai 2001, III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365, 1366, m.w.N.). Da der Tag der Aufgabe des Bescheides zur Post nicht feststeht, ist die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht anwendbar. Anderes gilt insoweit nur, wenn das Finanzgericht aufgrund tatrichterlicher Würdigung der konkreten Vorgänge, die zu der Erstellung und Versendung eines Steuerbescheides geführt haben, zu der Überzeugung gelangt, dass das Bescheiddatum dem Absendedatum entspricht; letzteres bindet dann den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO (Beschluss vom 10. Oktober 2002, VI B 107/01, NV, zitiert nach Juris). II. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 im Streitfall nicht anwendbar, weil nach Aktenlage nicht erkennbar ist und durch den Beklagten auch nicht näher erläutert werden konnte, an welchem Tag die angefochtenen Bescheide des Beklagten über Einkommensteuer 1997, 1998, 1999, 2000 vom 29. Juli 2003 zur Post aufgegeben worden sind. 1. Wie den beigezogenen Rechtsbehelfs- und Einkommensteuerakten des Beklagten zu entnehmen ist, wurde für die darin enthaltenen und vorliegend angefochtenen Bescheide das Datum der Aufgabe zur Post nicht festgehalten. In den Begleitverfügungen zu ihnen sind auf den Blättern 109, 113, 119 und 120 (jeweils Rückseite) der Einkommensteuerakten nur die nachstehenden Daten jeweils mit Datumsstempel und Namenszeichen der/des Sachbearbeiterin bzw. Sachbearbeiters dokumentiert: Zur Datenerfassung/Daten eingeben 18. Juli 03 Namenszeichen/Datum Erledigt (Kürzel) z.d.A. ./. 17. Juli 03 (Kürzel) Sachgebietsleiter/in Datum Sachbearbeiter/in Hinzu kommen die Datumsangaben in den Bescheiden selbst, die durchgängig unter dem "29. 7.2003" erlassen wurden (sog. Bescheiddatum). Diese Angaben reichen jedoch für eine Anwendung der Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht aus (vgl. BFH-Urteil vom 22. Mai 2002, VIII R 53/00, BFH/NV 2002, 1417), insbesondere kann für den Streitfall auch nicht festgestellt werden, dass das Bescheiddatum dem Absendedatum entspricht (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Oktober 2002, VI B 107/01, NV, zitiert nach Juris). 2. Erhärtet wird dies durch die Darstellung der Verwaltungspraxis bei der Zustellung von Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuerbescheiden (nicht: Einspruchsentscheidungen) durch den Beklagten selbst. In seinem Schriftsatz vom 18. August 2005 (GA Bl. 55) führt er aus: "Maschinelle Bescheiderteilung/Zugangsvermutung § 122 Abs. 2 AO (Einkommen- Umsatz- u. Gewerbesteuerbescheide) 1. Die Datenerfassung erfolgt durch den Vbz. (Datum mit rotem Stempel). 2. Das Rechenzentrum (fidatas) verarbeitet die vom FA eingegebenen Daten. 3. Das Verarbeitungsdatum der fidatas zuzüglich 7 Arbeitstage ergibt das Datum des Steuerbescheids, dass von der fidatas automatisch oben rechts im Steuerbescheid ausgedruckt wird (5-Tage-Woche). 4. Die so erstellten Steuerbescheide kommen anschließend von der fidatas an das FA (Vbz.) zurück, um für den Versand vorbereitet zu werden. Ggf. erfolgt vorher noch eine weitere Bearbeitung durch den Vbz., wie z.B. Belege beifügen, Hinweismitteilungen durch den Vbz. oder durch den SL bearbeiten. Anschließend gibt der Vbz. die Bescheide kuvertiert in die Poststelle des FA zum Versand. 5. 1 Tag vor dem Bescheiddatum leitet die Poststelle des FA die Bescheide an die zentrale Versendestelle der Performa zum Versand an den Bescheidempfänger weiter. Seit der bundeseinheitlichen Einführung der maschinellen Bescheiderteilung ist im Verfügungsteil der og. Steuererklärungen bzw. Eingabewertbögen Rubrik "zur Post am:" nicht mehr enthalten. Das ausgedruckte Bescheiddatum ist daher der Beginn der Drei-Tages-Frist der Zugangsvermutung nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO." Damit kann nach dem Datum des Bescheides allenfalls - ausgehend vom Regelfall - festgestellt werden, wann der Bescheid durch das Finanzamt zum Versand an die "Performa" weitergeleitet wurde. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO knüpft jedoch an den Tag nach der "Aufgabe zur Post" an, wobei letztere schon nach dem Wortlaut der Bestimmung nicht durch eine "Aufgabe zur Performa" ersetzt werden kann. Nicht geklärt - und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 18. August 2005 auch nicht mehr aufklärbar - ist im Streitfall, wann der Bescheid seitens der Performa zur Post aufgegeben wurde. Wie der BFH hierzu mit Urteil vom 22. Mai 2002 (VIII R 53/00, BFH/NV 2002, 1417, im Anschluss an BFH-Urteil vom 3. Mai 2001, III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365, 1366, m.w.N.) klargestellt hat, knüpft "die Vermutung des Zuganges ... an das Datum der Aufgabe des Bescheides zur Post an". Dieses ergibt sich nicht zwingend aus dem Bescheiddatum" (BFH/NV 2002, 1417). Wenn aber der Tag der Aufgabe des Bescheides vom 18. März 1997 zur Post nicht feststeht, ist die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht anwendbar (BFH, a.a.O.). 3. Im Ergebnis verbleibt es daher bei § 122 Abs. 2, 2. Halbsatz AO 1977, wonach die Behörde im Zweifel den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zuganges nachzuweisen hat und Unklarheiten in dieser Frage zu Ihren Lasten gehen (BFH-Urteile vom 9. Dezember 1999, III R 37/97, BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175 , BFH/NV 2000, 626, vom 17. Juni 1997, IX R 79/95, BFH/NV 1997, 828, und 8. Februar 1996, III R 127/93, BFH/NV 1996, 850, m.w.N.). Da die Einspruchsfrist mangels Anwendbarkeit der Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht versäumt wurde, ist für den Streitfall von einem rechtmäßig eingelegten Einspruch auszugehen und die materielle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide zu prüfen (BFH-Urteil vom 22. Mai 2002, VIII R 53/00, BFH/NV 2002, 1417 ). Unerheblich ist bei alldem, ob dem Kläger die Bescheide tatsächlich erst am 29. August 2003 zugestellt oder ihm bereits zu einem früheren Zeitpunkt bekannt gegeben wurden und ob im Streitfall Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben waren oder nicht. FG Bremen, Urteil vom 18.08.2005, 4 K 220/03 (4), EFG 2006, 1030 n. rkr. Auf Nichtzulassungsbeschwerde des FA hat der Bundesfinanzhof (X B 190/05) das Urteil des FG aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das Finanzgericht zurückverwiesen. Aus den Gründen: "Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG. Der vom FA gerügte Verfahrensfehler liegt vor. Denn das FG hat die Sachaufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es nicht ermittelt hat, wann die streitigen Bescheide zur Post aufgegeben worden sind. 1. Ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht liegt dann vor, wenn das FG keine Ermittlungen zu einem tatsächlichen Geschehen anstellt, auf das es unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung ankommt, wenn sich solche Ermittlungen dem FG aufdrängen mussten. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. a) Das FG ist in rechtlicher Hinsicht davon ausgegangen, dass die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nur dann eingreift, wenn feststeht, wann die mit einfachem Brief übersandten Steuerbescheide tatsächlich zur Post aufgegeben worden sind. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger behauptet, die streitigen Bescheide nicht innerhalb der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 erhalten zu haben, sofern die Bescheide tatsächlich zu dem Zeitpunkt, der auf diesem als Bescheidsdatum jeweils aufgedruckt ist, zur Post aufgegeben worden sein sollten. Bestreitet ein Steuerpflichtiger nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern macht er geltend, es nicht innerhalb der Drei-Tages-Frist erhalten zu haben, dann sind, sofern der Tag der Aufgabe zur Post feststeht, der Sachverhalt unter Berücksichtigung des substantiierten Vorbringens des Steuerpflichtigen über den Zugang des Schriftstücks aufzuklären und die festgestellten oder unstreitigen Umstände im Wege der freien Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO gegeneinander abzuwägen. Ermittlungen zum Zeitpunkt der Aufgabe der angefochtenen Bescheide zur Post waren auch nicht deshalb entbehrlich, weil in den Akten des FA der jeweilige Aufgabezeitpunkt nicht festgehalten ist. Denn das Gesetz schreibt nicht vor, dass der Aufgabetag aktenkundig zu machen ist. b) Dem FG musste sich aufdrängen, dass es im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht insbesondere gehalten war, Erkundigungen bei der X..., also der Stelle einzuholen, welche für die Aufgabe der Steuerbescheide zur Post verantwortlich war. Denn vornehmlich bei dieser Stelle können ggf. Erkenntnisse zum Ablauf des Versendeverfahrens und insbesondere dazu erlangt werden, ob und auf welche Weise sichergestellt ist, dass Bescheide zu dem Zeitpunkt, der auf dem Bescheid als Datum aufgedruckt wird, auch tatsächlich zur Post aufgegeben werden. Außerdem wird das FG ggf. ermitteln müssen, auf welche Weise gewährleistet war, dass die zur Versendung vorgesehenen Bescheide fristgerecht --d.h. einen Tag vor dem aufgedruckten Datum der betreffenden Bescheide-- an die X... geleitet wurden. Das FG war nicht berechtigt, stattdessen eine Beweislastentscheidung zum Nachteil des FA unter Hinweis darauf treffen, der jeweilige Aufgabezeitpunkt sei nicht aufklärbar. Soweit sich das FG in diesem Zusammenhang auf die Erklärung des Vertreters des FA in der mündlichen Verhandlung vom 18. August 2005 gestützt hat, wonach er das Datum der Aufgabe zur Post nicht konkret benennen könne, ist dieser Vortrag nicht in dem Sinne zu verstehen, dass eine Aufklärung nicht möglich ist. Vielmehr wird nur zum Ausdruck gebracht, dass dem nicht selbst mit der Postversendung befassten FA keine konkreten Erkenntnisse zum Aufgabezeitpunkt vorliegen." Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.05.06 X B 190/05

05.10.2006, Kastaun

 

Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein Steuerbescheid am dritten Tag nach seiner Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Das FG Bremen hält die Vorschrift aber nicht für anwendbar, wenn lediglich das Datum der Weiterleitung eines Bescheides an eine zentrale Versendestelle, nicht aber der tatsächliche Tag seiner Aufgabe zur Post feststellbar ist. Der Bundesfinanzhof hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, allerdings ohne die Rechtsgrundsätze des FG in Frage zu stellen. Orientierungssatz 1. Die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO ist nicht anwendbar, wenn nur das Datum eines Steuerbescheides, nicht aber das Datum seiner Aufgabe zur Post feststeht. Ist nur feststellbar, wann ein Bescheid durch das FA zum Versand an eine zentrale Versendestelle weitergeleitet wurde, nicht jedoch, wann der Bescheid seitens dieser Stelle zur Post aufgegeben wurde, hat das FA nach § 122 Abs. 2, 2. Halbsatz AO den Zugang des Bescheides und den Zeitpunkt des Zuganges nachzuweisen. Unklarheiten in dieser Frage gehen zu Lasten des FA.Aus den Gründen I. Nach § 355 Abs. 1 Satz 1 AO beträgt die Frist für die Einlegung des Einspruchs gegen Verwaltungsakte in Abgabenangelegenheiten i.S.d. § 347 Abs. 1 AO einen Monat. Sie beginnt im Fall des § 355 Abs. 1 AO 1977 mit der Bekanntgabe des Bescheides (§ 122 AO). 1. Bei Zusendung eines Steuerbescheides durch einfachen Brief gilt die Bekanntgabe innerhalb des Geltungsbereiches der Abgabenordnung nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 als bewirkt mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post, es sei denn, dass die Entscheidung nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1999, III R 37/97, BFHE 190, 292, BStBl. II 2000, 175, BFH/NV 2000, 626; so auch die Rechtsmittelbelehrung in den angefochtenen Bescheiden des Beklagten). 2. Der Dreitages-Zeitraum des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gilt nicht, wenn der Empfänger substantiiert bestreitet, den Verwaltungsakt (die Einspruchsentscheidung) innerhalb dieser drei Tage erhalten zu haben, wenn er also Tatsachen vorträgt, die schlüssig auf einen späteren Zugang hindeuten und deshalb Zweifel an der Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 begründen. Sind solche Zweifel vorgetragen und begründet worden, so ist der Sachverhalt aufzuklären, die festgestellten und unstreitigen Umstände sind im Wege freier Beweiswürdigung gegeneinander abzuwägen. Nach § 122 Abs. 2, 2. Halbsatz AO 1977 hat die Behörde im Zweifel den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zuganges nachzuweisen (BFH-Urteile vom 9. Dezember 1999, III R 37/97, BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175, BFH/NV 2000, 626, vom 17. Juni 1997 IX R 79/95, BFH/NV 1997, 828, und 8. Februar 1996 III R 127/93, BFH/NV 1996, 850, m.w.N.). Die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 ist weiter auch dann nicht anwendbar, wenn nur das Datum eines Bescheides, nicht aber das Datum seiner Aufgabe zur Post feststeht (BFH-Urteil vom 22. Mai 2002, VIII R 53/00, BFH/NV 2002, 1417). Denn die Vermutung des Zuganges knüpft an das Datum der Aufgabe des Bescheides zur Post an. Dieses ergibt sich nicht zwingend aus dem Bescheiddatum (BFH a.a.O. und BFH-Urteil vom 3. Mai 2001, III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365, 1366, m.w.N.). Da der Tag der Aufgabe des Bescheides zur Post nicht feststeht, ist die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht anwendbar. Anderes gilt insoweit nur, wenn das Finanzgericht aufgrund tatrichterlicher Würdigung der konkreten Vorgänge, die zu der Erstellung und Versendung eines Steuerbescheides geführt haben, zu der Überzeugung gelangt, dass das Bescheiddatum dem Absendedatum entspricht; letzteres bindet dann den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO (Beschluss vom 10. Oktober 2002, VI B 107/01, NV, zitiert nach Juris). II. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 im Streitfall nicht anwendbar, weil nach Aktenlage nicht erkennbar ist und durch den Beklagten auch nicht näher erläutert werden konnte, an welchem Tag die angefochtenen Bescheide des Beklagten über Einkommensteuer 1997, 1998, 1999, 2000 vom 29. Juli 2003 zur Post aufgegeben worden sind. 1. Wie den beigezogenen Rechtsbehelfs- und Einkommensteuerakten des Beklagten zu entnehmen ist, wurde für die darin enthaltenen und vorliegend angefochtenen Bescheide das Datum der Aufgabe zur Post nicht festgehalten. In den Begleitverfügungen zu ihnen sind auf den Blättern 109, 113, 119 und 120 (jeweils Rückseite) der Einkommensteuerakten nur die nachstehenden Daten jeweils mit Datumsstempel und Namenszeichen der/des Sachbearbeiterin bzw. Sachbearbeiters dokumentiert: Zur Datenerfassung/Daten eingeben 18. Juli 03 Namenszeichen/Datum Erledigt (Kürzel) z.d.A. ./. 17. Juli 03 (Kürzel) Sachgebietsleiter/in Datum Sachbearbeiter/in Hinzu kommen die Datumsangaben in den Bescheiden selbst, die durchgängig unter dem "29. 7.2003" erlassen wurden (sog. Bescheiddatum). Diese Angaben reichen jedoch für eine Anwendung der Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht aus (vgl. BFH-Urteil vom 22. Mai 2002, VIII R 53/00, BFH/NV 2002, 1417), insbesondere kann für den Streitfall auch nicht festgestellt werden, dass das Bescheiddatum dem Absendedatum entspricht (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Oktober 2002, VI B 107/01, NV, zitiert nach Juris). 2. Erhärtet wird dies durch die Darstellung der Verwaltungspraxis bei der Zustellung von Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuerbescheiden (nicht: Einspruchsentscheidungen) durch den Beklagten selbst. In seinem Schriftsatz vom 18. August 2005 (GA Bl. 55) führt er aus: "Maschinelle Bescheiderteilung/Zugangsvermutung § 122 Abs. 2 AO (Einkommen- Umsatz- u. Gewerbesteuerbescheide) 1. Die Datenerfassung erfolgt durch den Vbz. (Datum mit rotem Stempel). 2. Das Rechenzentrum (fidatas) verarbeitet die vom FA eingegebenen Daten. 3. Das Verarbeitungsdatum der fidatas zuzüglich 7 Arbeitstage ergibt das Datum des Steuerbescheids, dass von der fidatas automatisch oben rechts im Steuerbescheid ausgedruckt wird (5-Tage-Woche). 4. Die so erstellten Steuerbescheide kommen anschließend von der fidatas an das FA (Vbz.) zurück, um für den Versand vorbereitet zu werden. Ggf. erfolgt vorher noch eine weitere Bearbeitung durch den Vbz., wie z.B. Belege beifügen, Hinweismitteilungen durch den Vbz. oder durch den SL bearbeiten. Anschließend gibt der Vbz. die Bescheide kuvertiert in die Poststelle des FA zum Versand. 5. 1 Tag vor dem Bescheiddatum leitet die Poststelle des FA die Bescheide an die zentrale Versendestelle der Performa zum Versand an den Bescheidempfänger weiter. Seit der bundeseinheitlichen Einführung der maschinellen Bescheiderteilung ist im Verfügungsteil der og. Steuererklärungen bzw. Eingabewertbögen Rubrik "zur Post am:" nicht mehr enthalten. Das ausgedruckte Bescheiddatum ist daher der Beginn der Drei-Tages-Frist der Zugangsvermutung nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO." Damit kann nach dem Datum des Bescheides allenfalls - ausgehend vom Regelfall - festgestellt werden, wann der Bescheid durch das Finanzamt zum Versand an die "Performa" weitergeleitet wurde. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO knüpft jedoch an den Tag nach der "Aufgabe zur Post" an, wobei letztere schon nach dem Wortlaut der Bestimmung nicht durch eine "Aufgabe zur Performa" ersetzt werden kann. Nicht geklärt - und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 18. August 2005 auch nicht mehr aufklärbar - ist im Streitfall, wann der Bescheid seitens der Performa zur Post aufgegeben wurde. Wie der BFH hierzu mit Urteil vom 22. Mai 2002 (VIII R 53/00, BFH/NV 2002, 1417, im Anschluss an BFH-Urteil vom 3. Mai 2001, III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365, 1366, m.w.N.) klargestellt hat, knüpft "die Vermutung des Zuganges ... an das Datum der Aufgabe des Bescheides zur Post an". Dieses ergibt sich nicht zwingend aus dem Bescheiddatum" (BFH/NV 2002, 1417). Wenn aber der Tag der Aufgabe des Bescheides vom 18. März 1997 zur Post nicht feststeht, ist die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht anwendbar (BFH, a.a.O.). 3. Im Ergebnis verbleibt es daher bei § 122 Abs. 2, 2. Halbsatz AO 1977, wonach die Behörde im Zweifel den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zuganges nachzuweisen hat und Unklarheiten in dieser Frage zu Ihren Lasten gehen (BFH-Urteile vom 9. Dezember 1999, III R 37/97, BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175 , BFH/NV 2000, 626, vom 17. Juni 1997, IX R 79/95, BFH/NV 1997, 828, und 8. Februar 1996, III R 127/93, BFH/NV 1996, 850, m.w.N.). Da die Einspruchsfrist mangels Anwendbarkeit der Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht versäumt wurde, ist für den Streitfall von einem rechtmäßig eingelegten Einspruch auszugehen und die materielle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide zu prüfen (BFH-Urteil vom 22. Mai 2002, VIII R 53/00, BFH/NV 2002, 1417 ). Unerheblich ist bei alldem, ob dem Kläger die Bescheide tatsächlich erst am 29. August 2003 zugestellt oder ihm bereits zu einem früheren Zeitpunkt bekannt gegeben wurden und ob im Streitfall Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben waren oder nicht. FG Bremen, Urteil vom 18.08.2005, 4 K 220/03 (4), EFG 2006, 1030 n. rkr. Auf Nichtzulassungsbeschwerde des FA hat der Bundesfinanzhof (X B 190/05) das Urteil des FG aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das Finanzgericht zurückverwiesen. Aus den Gründen: "Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG. Der vom FA gerügte Verfahrensfehler liegt vor. Denn das FG hat die Sachaufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es nicht ermittelt hat, wann die streitigen Bescheide zur Post aufgegeben worden sind. 1. Ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht liegt dann vor, wenn das FG keine Ermittlungen zu einem tatsächlichen Geschehen anstellt, auf das es unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung ankommt, wenn sich solche Ermittlungen dem FG aufdrängen mussten. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. a) Das FG ist in rechtlicher Hinsicht davon ausgegangen, dass die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nur dann eingreift, wenn feststeht, wann die mit einfachem Brief übersandten Steuerbescheide tatsächlich zur Post aufgegeben worden sind. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger behauptet, die streitigen Bescheide nicht innerhalb der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 erhalten zu haben, sofern die Bescheide tatsächlich zu dem Zeitpunkt, der auf diesem als Bescheidsdatum jeweils aufgedruckt ist, zur Post aufgegeben worden sein sollten. Bestreitet ein Steuerpflichtiger nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern macht er geltend, es nicht innerhalb der Drei-Tages-Frist erhalten zu haben, dann sind, sofern der Tag der Aufgabe zur Post feststeht, der Sachverhalt unter Berücksichtigung des substantiierten Vorbringens des Steuerpflichtigen über den Zugang des Schriftstücks aufzuklären und die festgestellten oder unstreitigen Umstände im Wege der freien Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO gegeneinander abzuwägen. Ermittlungen zum Zeitpunkt der Aufgabe der angefochtenen Bescheide zur Post waren auch nicht deshalb entbehrlich, weil in den Akten des FA der jeweilige Aufgabezeitpunkt nicht festgehalten ist. Denn das Gesetz schreibt nicht vor, dass der Aufgabetag aktenkundig zu machen ist. b) Dem FG musste sich aufdrängen, dass es im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht insbesondere gehalten war, Erkundigungen bei der X..., also der Stelle einzuholen, welche für die Aufgabe der Steuerbescheide zur Post verantwortlich war. Denn vornehmlich bei dieser Stelle können ggf. Erkenntnisse zum Ablauf des Versendeverfahrens und insbesondere dazu erlangt werden, ob und auf welche Weise sichergestellt ist, dass Bescheide zu dem Zeitpunkt, der auf dem Bescheid als Datum aufgedruckt wird, auch tatsächlich zur Post aufgegeben werden. Außerdem wird das FG ggf. ermitteln müssen, auf welche Weise gewährleistet war, dass die zur Versendung vorgesehenen Bescheide fristgerecht --d.h. einen Tag vor dem aufgedruckten Datum der betreffenden Bescheide-- an die X... geleitet wurden. Das FG war nicht berechtigt, stattdessen eine Beweislastentscheidung zum Nachteil des FA unter Hinweis darauf treffen, der jeweilige Aufgabezeitpunkt sei nicht aufklärbar. Soweit sich das FG in diesem Zusammenhang auf die Erklärung des Vertreters des FA in der mündlichen Verhandlung vom 18. August 2005 gestützt hat, wonach er das Datum der Aufgabe zur Post nicht konkret benennen könne, ist dieser Vortrag nicht in dem Sinne zu verstehen, dass eine Aufklärung nicht möglich ist. Vielmehr wird nur zum Ausdruck gebracht, dass dem nicht selbst mit der Postversendung befassten FA keine konkreten Erkenntnisse zum Aufgabezeitpunkt vorliegen." Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.05.06 X B 190/05

05.10.2006, Kastaun

 

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