BGH zur Schätzung im Steuerstrafverfahren

Auch im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist. Dies gilt auch und gerade dann, wenn Belege nicht mehr vorhanden sind. Fehlende Buchhaltung befreit nicht von strafrechtlicher Verantwortung. Dies gilt auch dann, wenn keine handelsrechtliche Buchführungspflicht besteht, etwa ab dem Geschäftsjahr 2008 in den Fällen des § 241a HGB, zumal besondere steuerrechtliche Aufzeichnungspflichten (z.B. §§ 141 ff. AO, § 22 UStG i.V.m. §§ 63 ff. UStDV) hiervon unberührt bleiben. Zur Durchführung der Schätzung kommen die auch im Besteuerungsverfahren anerkannten Schätzungsmethoden einschließlich der Heranziehung der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen zur Anwendung.

Der Tatrichter muss dann in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen, wie er zu den Schätzungsergebnissen gelangt ist. Erweist sich eine konkrete Ermittlung oder Schätzung der tatsächlichen Umsätze danach von vorneherein oder nach entsprechenden Berechnungsversuchen als unmöglich, kann pauschal geschätzt werden, etwa unter Heranziehung der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen. Eine auch nur annähernd zutreffende konkrete Ermittlung wird in aller Regel schon dann von vorneherein nicht möglich sein, wenn Buchungsbelege völlig fehlen.

Bei der Festsetzung des Rohgewinnaufschlagsatzes muss sich das Gericht nicht zugunsten eines Angeklagten an den unteren Werten der in der Richtsatzsammlung genannten Spannen orientieren, wenn sich Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage ergeben, wie z.B. ein guter Standort, sonst nicht erklärbare Vermögenszuwächse oder örtliche Vergleichsdaten.

Aus dem Tatbestand
Unzutreffende Angaben zu den Betriebseinnahmen beider gastronomischer Betriebe hat die Angeklagte bestritten. Die beim Fleischgroßhändler Bi. über die Lieferungen an sie erhobenen Rechnungen seien zwar zutreffend. Die als bezogen ausgewiesene Gesamtmenge entspreche jedoch nicht dem Absatz. Durch Fett- und Wasserverlust sei ein Schwund von mindestens 40 % eingetreten. Auch hätten die Spieße ein geringeres Gewicht gehabt, als auf den Etiketten angegeben gewesen sei. Viele Kilos unverkäuflicher Kruste und Reste an den Spießen hätten weggeworfen werden müssen. Sie habe einen hohen Eigenverbrauch gehabt, für die Familie und die Schulfreunde ihrer Kinder. Dem türkischen Kulturverein habe sie täglich 7,5 bis 10 kg gegartes Dönerfleisch geschenkt.

Mehreinnahmen folgten nach den Feststellungen der Strafkammer schon aus dem während der entsprechenden Jahre angesammelten Vermögen der Angeklagten. Bei der Berechnung der tatsächlichen Umsätze war die Strafkammer auf Schätzungen angewiesen. Denn Buchhaltungsunterlagen, aufgrund derer die Umsatzangaben in den vom Steuerberater gefertigten Einnahmen-Überschussrechnungen und Bilanzen hätten überprüft werden können, waren bei der Angeklagten bzw. in ihren Betrieben nicht mehr vorhanden. Als einzige objektive Berechnungsgrundlage konnte die Strafkammer auf die beim Fleischlieferanten der Angeklagten erhobenen Rechnungen zurückgreifen.

Die Strafkammer hat zunächst eine möglichst konkrete Schätzung versucht. Für die Gesamtumsatzberechnung hat sie dazu in einem ersten Schritt die Umsatzbereiche Döner, Pizzen und Getränke unterschieden. Auf der Grundlage der Einkaufsrechnungen für die Döner-Fleischspieße konnte die Ausgangsmenge an verarbeitetem Dönerfleisch für jedes Jahr festgestellt werden.

Unter Berücksichtigung der oben genannten Schwundfaktoren, deren Größenordnung durch das Ergebnis der Beweisaufnahme allerdings in erheblichem Umfang reduziert worden ist, hat das Landgericht einen Verkaufsanteil von 62 % des eingekauften Rohfleisches zugrunde gelegt und anhand der festgestellten Portionsmenge und eines mittleren Verkaufspreises hieraus den jeweiligen Jahresumsatz im Bereich Döner ermittelt. Hinsichtlich der Pizzaumsätze hat das Landgericht auf Grundlage der Angaben der Angeklagten und eines mit der Gewinnermittlung der Betriebe befassten Steuerfachwirts eine bestimmte Größenordnung pro Jahr festgelegt und diese mit einem mittleren Verkaufspreis multipliziert. Den Getränkeumsatz hat das Landgericht schließlich mittels eines 100 %-Aufschlags auf die Getränkeeinkaufsbeträge, wie sie aus den Einnahme-Überschussrechnungen und den Bilanzen hervorgehen, berechnet.

Bei der Gegenüberstellung der so errechneten Gesamtumsätze mit den Wareneinsatzbeträgen ergaben sich jedoch unerklärbare Schwankungen des auf diese Weise ermittelten Rohgewinnaufschlags. Teilweise blieb der so errechnete Jahresumsatz sogar hinter dem von der Angeklagten erklärten Jahresumsatz zurück. Mangels ausreichend zuverlässiger Datenbasis erwies sich dieser Weg der Schätzung der tatsächlichen Umsätze somit als untauglich.

Das Landgericht hat den Mehrumsatz deshalb im Wege einer pauschalen Schätzung ermittelt. Es hat die Jahresumsätze der Angeklagten auf der Grundlage einer durch das Bundesministerium für Finanzen jährlich herausgegebenen Richtsatzsammlung von Rohgewinnaufschlägen für Imbissbetriebe und Pizzerien ermittelt, indem es einen Rohgewinnaufschlag von 190 % auf die in den Einnahme-Überschussrechnungen bzw. Bilanzen enthaltenen Wareneinsatzbeträge vorgenommen hat. Dieser Wert stellt einen Mischwert aus den Richtsatzwerten für Imbissbetriebe und Pizzerien dar, der entsprechend den jeweils festgestellten Umsatzanteilen im Betrieb der Angeklagten von der Kammer im Verhältnis 3 (Döner-Imbiss) zu 1 (Pizzeria) gebildet wurde. Bei dem Rohgewinnaufschlag von 190 % handelt es sich um einen Mindestwert. In Vergleichsfällen sind im Bezirk des Finanzamts Ludwigsburg Rohgewinnaufschlagsätze von 220 bis zu 270 % ermittelt worden.

Ausgehend von diesem Rohgewinnaufschlag errechnete die Strafkammer die Mehrumsätze und die daraus resultierenden Mehrsteuern, ohne allerdings den Berechnungsvorgang umfassend mitzuteilen. Die Urteilsgründe enthalten weder die aus den Gewinn- und Verlustrechnungen bzw. Bilanzen entnommenen Wareneinsatzbeträge noch die daraus auf dem dargestellten Weg errechneten Gesamtumsätze. In den Feststellungen wird zwar der Mehrumsatz und die insoweit verkürzte Umsatzsteuer pro Jahr angegeben. Der Inhalt der jeweils abgegebenen Steuererklärung und der überprüfbare Vergleich zwischen Ist-Steuer und Soll-Steuer fehlen jedoch.

Aus den Gründen
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge deckt einen Darlegungsmangel auf, eine Lücke in der Darstellung der Berechnung der Mehrumsätze und darauf aufbauend der jeweiligen Hinterziehungsbeträge. Der Senat vermag deshalb nicht zu überprüfen, ob die Strafkammer den Schuldumfang zutreffend ermittelt hat. Dies führt zur Aufhebung des Schuldspruchs und in der Folge des Strafausspruchs.

Die Strafkammer hat die Umsätze der einzelnen Jahre schließlich pauschal geschätzt. Sie hat dabei einen Rohgewinnaufschlag von 190 % auf die in den Einnahmen-Überschussrechnungen bzw. Bilanzen enthaltenen Wareneinsatzbeträge zugrunde gelegt. Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht zur Feststellung dieses Rohgewinnaufschlags gelangt, wie auch zur Feststellung, dass in diesem Fall eine konkretere Schätzung mangels ausreichend verlässlicher Tatsachengrundlage unmöglich ist.

Auch im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist. Dies gilt auch und gerade dann, wenn Belege nicht mehr vorhanden sind. Fehlende Buchhaltung befreit nicht von strafrechtlicher Verantwortung. Dies gilt auch dann, wenn keine handelsrechtliche Buchführungspflicht besteht, etwa ab dem Geschäftsjahr 2008 in den Fällen des § 241a HGB, zumal besondere steuerrechtliche Aufzeichnungspflichten (z.B. §§ 141 ff. AO, § 22 UStG i.V.m. §§ 63 ff. UStDV) hiervon unberührt bleiben. Zur Durchführung der Schätzung kommen die auch im Besteuerungsverfahren anerkannten Schätzungsmethoden einschließlich der Heranziehung der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen zur Anwendung (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2007 - 5 StR 58/07, BGHR AO § 370 Abs. 1, Steuerschätzung 3).

Der Tatrichter muss dann in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen, wie er zu den Schätzungsergebnissen gelangt ist (BGH, Beschluss vom 26. April 2001 - 5 StR 448/00; zu den Anforderungen an die Feststellung und die Beweiswürdigung von Besteuerungsgrundlagen in steuerstrafrechtlichen Urteilen vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08 Rn. 11 ff., BGHR StPO § 267 Abs. 1, Steuerhinterziehung 1; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. März 2010 - 1 StR 52/10).

Erweist sich eine konkrete Ermittlung oder Schätzung der tatsächlichen Umsätze danach von vorneherein oder - wie im vorliegenden Fall - nach entsprechenden Berechnungsversuchen als nicht möglich, kann pauschal geschätzt werden, etwa - wie hier - unter Heranziehung der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen.

Eine auch nur annähernd zutreffende konkrete Ermittlung wird in aller Regel - jedenfalls bei Gastronomiebetrieben der vorliegenden Art - schon dann von vorneherein nicht möglich sein, wenn Buchungsbelege völlig fehlen. Denn dass in derartigen Fällen in den Einnahmen-Überschussrechnungen bzw. Bilanzen allein die Umsatzzahlen (Verkäufe) unzutreffend sind, ist eher unwahrscheinlich.

Auch die sonstigen Zahlen in diesen Abschlüssen erscheinen daher als Basis für eine konkrete Berechnung von vorneherein als eher ungeeignet. Einer entsprechenden Einlassung (keine Schwarzeinkäufe) muss das Tatgericht bei einem derartigen Hintergrund ohne weitere Anhaltspunkte für Richtigkeit dieser Darstellung im Hinblick auf die Wahl einer geeigneten Schätzmethode nicht allein deshalb glauben, weil es die Behauptung nicht widerlegen kann (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 107/09, Rn. 18; Urteil vom 4. Dezember 2008 - 1 StR 327/08, Rn. 8; Urteil vom 21. Oktober 2008 - 1 StR 292/08, Rn. 24; Urteil vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07, Rn. 22; Beschluss vom 19. Juni 2008 - 1 StR 217/08, Rn. 19; Urteil vom 8. Mai 2008 - 3 StR 102/08, Rn. 9).

Bei der Festsetzung des Rohgewinnaufschlagsatzes muss sich das Gericht nicht zugunsten eines Angeklagten an den unteren Werten der in der Richtsatzsammlung genannten Spannen orientieren, wenn sich Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage ergeben, wie z.B. ein guter Standort, sonst nicht erklärbare Vermögenszuwächse oder örtliche Vergleichsdaten.

Das Landgericht durfte hier somit nach dem Scheitern einer Schätzung aufgrund eines individuellen Berechnungsmodells auf die von ihm gewählte generalisierende Schätzungsmethode zurückgreifen. Auch die Bildung eines Mischwertes aus zwei Richtsatzwerten im Verhältnis der jeweiligen Umsatzanteile begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

In den schriftlichen Gründen des Urteils fehlt im vorliegenden Fall allerdings über den - sehr zugunsten der Angeklagten - ermittelten Rohgewinnaufschlag hinaus die Mitteilung maßgeblicher Umstände, die dann die Grundlage für die weitere Umsatz- und Steuerberechnung bilden.

Es werden zwar die Mehrumsätze und die insoweit verkürzte Umsatzsteuer pro Jahr angegeben. Jedoch enthalten die Gründe weder die aus den Gewinn- und Verlustrechnungen bzw. Bilanzen entnommenen Wareneinsatzbeträge noch die daraus auf dem dargestellten Weg errechneten Gesamtumsätze. Zudem fehlen der Inhalt der jeweils abgegebenen Steuererklärung und damit ein überprüfbarer Vergleich zwischen Ist-Steuer und Soll-Steuer. Dass die Strafkammer als Basis der pauschalierten Berechnung nur die in den Jahresabschlüssen enthaltenen Wareneinkäufe ansetzte und keine Ermittlungen zu eventuellen sonstigen Einkäufen anstellte, beschwert die Angeklagte nicht.

Der Schuldspruch - und in der Folge der Strafausspruch - sowie die zur Höhe des Schuldumfangs getroffenen Feststellungen (Hinterziehungsbeträge und zugrundeliegender jeweiliger Mehrumsatz) haben daher keinen Bestand.

Der Senat weist abschließend darauf hin, dass eine Verletzung von Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten (hinsichtlich der geschäftlichen Unterlagen) in Fällen der vorliegenden Art ein bestimmender Strafschärfungsgrund ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, Rn. 47). Auch bei der Prüfung der Frage, ob besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, wird dies ggf. zu berücksichtigen sein.

Bundesgerichtshof, Urteil v. 28.07.2010, 1 StR 643/09,
HRRS 2010 Nr. 679

 

 

04.10.2010, Dr. Jochen Bachmann

Auch im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist. Dies gilt auch und gerade dann, wenn Belege nicht mehr vorhanden sind. Fehlende Buchhaltung befreit nicht von strafrechtlicher Verantwortung. Dies gilt auch dann, wenn keine handelsrechtliche Buchführungspflicht besteht, etwa ab dem Geschäftsjahr 2008 in den Fällen des § 241a HGB, zumal besondere steuerrechtliche Aufzeichnungspflichten (z.B. §§ 141 ff. AO, § 22 UStG i.V.m. §§ 63 ff. UStDV) hiervon unberührt bleiben. Zur Durchführung der Schätzung kommen die auch im Besteuerungsverfahren anerkannten Schätzungsmethoden einschließlich der Heranziehung der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen zur Anwendung.

Der Tatrichter muss dann in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen, wie er zu den Schätzungsergebnissen gelangt ist. Erweist sich eine konkrete Ermittlung oder Schätzung der tatsächlichen Umsätze danach von vorneherein oder nach entsprechenden Berechnungsversuchen als unmöglich, kann pauschal geschätzt werden, etwa unter Heranziehung der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen. Eine auch nur annähernd zutreffende konkrete Ermittlung wird in aller Regel schon dann von vorneherein nicht möglich sein, wenn Buchungsbelege völlig fehlen.

Bei der Festsetzung des Rohgewinnaufschlagsatzes muss sich das Gericht nicht zugunsten eines Angeklagten an den unteren Werten der in der Richtsatzsammlung genannten Spannen orientieren, wenn sich Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage ergeben, wie z.B. ein guter Standort, sonst nicht erklärbare Vermögenszuwächse oder örtliche Vergleichsdaten.

Aus dem Tatbestand
Unzutreffende Angaben zu den Betriebseinnahmen beider gastronomischer Betriebe hat die Angeklagte bestritten. Die beim Fleischgroßhändler Bi. über die Lieferungen an sie erhobenen Rechnungen seien zwar zutreffend. Die als bezogen ausgewiesene Gesamtmenge entspreche jedoch nicht dem Absatz. Durch Fett- und Wasserverlust sei ein Schwund von mindestens 40 % eingetreten. Auch hätten die Spieße ein geringeres Gewicht gehabt, als auf den Etiketten angegeben gewesen sei. Viele Kilos unverkäuflicher Kruste und Reste an den Spießen hätten weggeworfen werden müssen. Sie habe einen hohen Eigenverbrauch gehabt, für die Familie und die Schulfreunde ihrer Kinder. Dem türkischen Kulturverein habe sie täglich 7,5 bis 10 kg gegartes Dönerfleisch geschenkt.

Mehreinnahmen folgten nach den Feststellungen der Strafkammer schon aus dem während der entsprechenden Jahre angesammelten Vermögen der Angeklagten. Bei der Berechnung der tatsächlichen Umsätze war die Strafkammer auf Schätzungen angewiesen. Denn Buchhaltungsunterlagen, aufgrund derer die Umsatzangaben in den vom Steuerberater gefertigten Einnahmen-Überschussrechnungen und Bilanzen hätten überprüft werden können, waren bei der Angeklagten bzw. in ihren Betrieben nicht mehr vorhanden. Als einzige objektive Berechnungsgrundlage konnte die Strafkammer auf die beim Fleischlieferanten der Angeklagten erhobenen Rechnungen zurückgreifen.

Die Strafkammer hat zunächst eine möglichst konkrete Schätzung versucht. Für die Gesamtumsatzberechnung hat sie dazu in einem ersten Schritt die Umsatzbereiche Döner, Pizzen und Getränke unterschieden. Auf der Grundlage der Einkaufsrechnungen für die Döner-Fleischspieße konnte die Ausgangsmenge an verarbeitetem Dönerfleisch für jedes Jahr festgestellt werden.

Unter Berücksichtigung der oben genannten Schwundfaktoren, deren Größenordnung durch das Ergebnis der Beweisaufnahme allerdings in erheblichem Umfang reduziert worden ist, hat das Landgericht einen Verkaufsanteil von 62 % des eingekauften Rohfleisches zugrunde gelegt und anhand der festgestellten Portionsmenge und eines mittleren Verkaufspreises hieraus den jeweiligen Jahresumsatz im Bereich Döner ermittelt. Hinsichtlich der Pizzaumsätze hat das Landgericht auf Grundlage der Angaben der Angeklagten und eines mit der Gewinnermittlung der Betriebe befassten Steuerfachwirts eine bestimmte Größenordnung pro Jahr festgelegt und diese mit einem mittleren Verkaufspreis multipliziert. Den Getränkeumsatz hat das Landgericht schließlich mittels eines 100 %-Aufschlags auf die Getränkeeinkaufsbeträge, wie sie aus den Einnahme-Überschussrechnungen und den Bilanzen hervorgehen, berechnet.

Bei der Gegenüberstellung der so errechneten Gesamtumsätze mit den Wareneinsatzbeträgen ergaben sich jedoch unerklärbare Schwankungen des auf diese Weise ermittelten Rohgewinnaufschlags. Teilweise blieb der so errechnete Jahresumsatz sogar hinter dem von der Angeklagten erklärten Jahresumsatz zurück. Mangels ausreichend zuverlässiger Datenbasis erwies sich dieser Weg der Schätzung der tatsächlichen Umsätze somit als untauglich.

Das Landgericht hat den Mehrumsatz deshalb im Wege einer pauschalen Schätzung ermittelt. Es hat die Jahresumsätze der Angeklagten auf der Grundlage einer durch das Bundesministerium für Finanzen jährlich herausgegebenen Richtsatzsammlung von Rohgewinnaufschlägen für Imbissbetriebe und Pizzerien ermittelt, indem es einen Rohgewinnaufschlag von 190 % auf die in den Einnahme-Überschussrechnungen bzw. Bilanzen enthaltenen Wareneinsatzbeträge vorgenommen hat. Dieser Wert stellt einen Mischwert aus den Richtsatzwerten für Imbissbetriebe und Pizzerien dar, der entsprechend den jeweils festgestellten Umsatzanteilen im Betrieb der Angeklagten von der Kammer im Verhältnis 3 (Döner-Imbiss) zu 1 (Pizzeria) gebildet wurde. Bei dem Rohgewinnaufschlag von 190 % handelt es sich um einen Mindestwert. In Vergleichsfällen sind im Bezirk des Finanzamts Ludwigsburg Rohgewinnaufschlagsätze von 220 bis zu 270 % ermittelt worden.

Ausgehend von diesem Rohgewinnaufschlag errechnete die Strafkammer die Mehrumsätze und die daraus resultierenden Mehrsteuern, ohne allerdings den Berechnungsvorgang umfassend mitzuteilen. Die Urteilsgründe enthalten weder die aus den Gewinn- und Verlustrechnungen bzw. Bilanzen entnommenen Wareneinsatzbeträge noch die daraus auf dem dargestellten Weg errechneten Gesamtumsätze. In den Feststellungen wird zwar der Mehrumsatz und die insoweit verkürzte Umsatzsteuer pro Jahr angegeben. Der Inhalt der jeweils abgegebenen Steuererklärung und der überprüfbare Vergleich zwischen Ist-Steuer und Soll-Steuer fehlen jedoch.

Aus den Gründen
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge deckt einen Darlegungsmangel auf, eine Lücke in der Darstellung der Berechnung der Mehrumsätze und darauf aufbauend der jeweiligen Hinterziehungsbeträge. Der Senat vermag deshalb nicht zu überprüfen, ob die Strafkammer den Schuldumfang zutreffend ermittelt hat. Dies führt zur Aufhebung des Schuldspruchs und in der Folge des Strafausspruchs.

Die Strafkammer hat die Umsätze der einzelnen Jahre schließlich pauschal geschätzt. Sie hat dabei einen Rohgewinnaufschlag von 190 % auf die in den Einnahmen-Überschussrechnungen bzw. Bilanzen enthaltenen Wareneinsatzbeträge zugrunde gelegt. Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht zur Feststellung dieses Rohgewinnaufschlags gelangt, wie auch zur Feststellung, dass in diesem Fall eine konkretere Schätzung mangels ausreichend verlässlicher Tatsachengrundlage unmöglich ist.

Auch im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist. Dies gilt auch und gerade dann, wenn Belege nicht mehr vorhanden sind. Fehlende Buchhaltung befreit nicht von strafrechtlicher Verantwortung. Dies gilt auch dann, wenn keine handelsrechtliche Buchführungspflicht besteht, etwa ab dem Geschäftsjahr 2008 in den Fällen des § 241a HGB, zumal besondere steuerrechtliche Aufzeichnungspflichten (z.B. §§ 141 ff. AO, § 22 UStG i.V.m. §§ 63 ff. UStDV) hiervon unberührt bleiben. Zur Durchführung der Schätzung kommen die auch im Besteuerungsverfahren anerkannten Schätzungsmethoden einschließlich der Heranziehung der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen zur Anwendung (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2007 - 5 StR 58/07, BGHR AO § 370 Abs. 1, Steuerschätzung 3).

Der Tatrichter muss dann in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen, wie er zu den Schätzungsergebnissen gelangt ist (BGH, Beschluss vom 26. April 2001 - 5 StR 448/00; zu den Anforderungen an die Feststellung und die Beweiswürdigung von Besteuerungsgrundlagen in steuerstrafrechtlichen Urteilen vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08 Rn. 11 ff., BGHR StPO § 267 Abs. 1, Steuerhinterziehung 1; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. März 2010 - 1 StR 52/10).

Erweist sich eine konkrete Ermittlung oder Schätzung der tatsächlichen Umsätze danach von vorneherein oder - wie im vorliegenden Fall - nach entsprechenden Berechnungsversuchen als nicht möglich, kann pauschal geschätzt werden, etwa - wie hier - unter Heranziehung der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen.

Eine auch nur annähernd zutreffende konkrete Ermittlung wird in aller Regel - jedenfalls bei Gastronomiebetrieben der vorliegenden Art - schon dann von vorneherein nicht möglich sein, wenn Buchungsbelege völlig fehlen. Denn dass in derartigen Fällen in den Einnahmen-Überschussrechnungen bzw. Bilanzen allein die Umsatzzahlen (Verkäufe) unzutreffend sind, ist eher unwahrscheinlich.

Auch die sonstigen Zahlen in diesen Abschlüssen erscheinen daher als Basis für eine konkrete Berechnung von vorneherein als eher ungeeignet. Einer entsprechenden Einlassung (keine Schwarzeinkäufe) muss das Tatgericht bei einem derartigen Hintergrund ohne weitere Anhaltspunkte für Richtigkeit dieser Darstellung im Hinblick auf die Wahl einer geeigneten Schätzmethode nicht allein deshalb glauben, weil es die Behauptung nicht widerlegen kann (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 107/09, Rn. 18; Urteil vom 4. Dezember 2008 - 1 StR 327/08, Rn. 8; Urteil vom 21. Oktober 2008 - 1 StR 292/08, Rn. 24; Urteil vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07, Rn. 22; Beschluss vom 19. Juni 2008 - 1 StR 217/08, Rn. 19; Urteil vom 8. Mai 2008 - 3 StR 102/08, Rn. 9).

Bei der Festsetzung des Rohgewinnaufschlagsatzes muss sich das Gericht nicht zugunsten eines Angeklagten an den unteren Werten der in der Richtsatzsammlung genannten Spannen orientieren, wenn sich Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage ergeben, wie z.B. ein guter Standort, sonst nicht erklärbare Vermögenszuwächse oder örtliche Vergleichsdaten.

Das Landgericht durfte hier somit nach dem Scheitern einer Schätzung aufgrund eines individuellen Berechnungsmodells auf die von ihm gewählte generalisierende Schätzungsmethode zurückgreifen. Auch die Bildung eines Mischwertes aus zwei Richtsatzwerten im Verhältnis der jeweiligen Umsatzanteile begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

In den schriftlichen Gründen des Urteils fehlt im vorliegenden Fall allerdings über den - sehr zugunsten der Angeklagten - ermittelten Rohgewinnaufschlag hinaus die Mitteilung maßgeblicher Umstände, die dann die Grundlage für die weitere Umsatz- und Steuerberechnung bilden.

Es werden zwar die Mehrumsätze und die insoweit verkürzte Umsatzsteuer pro Jahr angegeben. Jedoch enthalten die Gründe weder die aus den Gewinn- und Verlustrechnungen bzw. Bilanzen entnommenen Wareneinsatzbeträge noch die daraus auf dem dargestellten Weg errechneten Gesamtumsätze. Zudem fehlen der Inhalt der jeweils abgegebenen Steuererklärung und damit ein überprüfbarer Vergleich zwischen Ist-Steuer und Soll-Steuer. Dass die Strafkammer als Basis der pauschalierten Berechnung nur die in den Jahresabschlüssen enthaltenen Wareneinkäufe ansetzte und keine Ermittlungen zu eventuellen sonstigen Einkäufen anstellte, beschwert die Angeklagte nicht.

Der Schuldspruch - und in der Folge der Strafausspruch - sowie die zur Höhe des Schuldumfangs getroffenen Feststellungen (Hinterziehungsbeträge und zugrundeliegender jeweiliger Mehrumsatz) haben daher keinen Bestand.

Der Senat weist abschließend darauf hin, dass eine Verletzung von Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten (hinsichtlich der geschäftlichen Unterlagen) in Fällen der vorliegenden Art ein bestimmender Strafschärfungsgrund ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, Rn. 47). Auch bei der Prüfung der Frage, ob besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, wird dies ggf. zu berücksichtigen sein.

Bundesgerichtshof, Urteil v. 28.07.2010, 1 StR 643/09,
HRRS 2010 Nr. 679

 

 

04.10.2010, Dr. Jochen Bachmann

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