BGH: Zu Vermögensbetreuungspflichten von unternehmerischen Leitungspersonen

BGH, Beschluss vom 17.12.2020 Az. 3 StR 403/19

(Vorinstanz: LG Oldenburg)

noch unveröffentlicht

 

Der Bundesgerichtshof hat in einem von uns betreuten Verfahren die Vermögensbetreuungspflichten von unternehmerischen Leitungspersonen konkretisiert. Im Streitfall geht es um die Leitung eines als Eigenbetrieb und gGmbH organisierten städtischen Krankenhauses und um die Pflichten derjenigen städtischen Ratsmitglieder, die die Stadt in der Gesellschafterversammlung vertreten haben.

 

Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilung des Geschäftsführers, des Oberbürgermeisters und der Ratsmitglieder aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Oldenburg zurückverwiesen.

 

Aus den Gründen

(...)

a) Die Entscheidung über die Beendigung der Geschäftsführeranstellung stellt unternehmerisches Handeln dar. Hierfür gilt:

aa) Nimmt der Vermögensbetreuungspflichtige unternehmerische Führungs- und Gestaltungsaufgaben wahr, ist ihm regelmäßig ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum eröffnet. Eine Pflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB liegt erst vor, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird oder das Verhalten des Vermögensbetreuungspflichtigen aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss (s. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2005 - 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, 336, 344; Beschluss vom 26. November 2015 - 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 Rn. 57; Urteil vom 12. Oktober 2016 - 5 StR 134/15, NJW 2017, 578 Rn. 28 f.). Bewegt sich das Verhalten jenseits des äußeren Begrenzungsrahmens des unternehmerischen Entscheidungsspielraums, liegt ein Verstoß gegen gesellschaftsrechtliche Pflichten vor, der zugleich eine Pflichtwidrigkeit gemäß § 266 Abs. 1 StGB begründet. Ein solcher Pflichtverstoß stellt sich - gleichsam "automatisch" - als gravierend im Sinne der zur Begrenzung des Untreuetatbestandes entwickelten Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2020 - 5 StR 366/19, BGHSt 64, 246 Rn. 17 mwN; ferner BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170, 210 f.) dar (s. BGH, Beschluss vom 26. November 2015 - 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 Rn. 60; Urteil vom 12. Oktober 2016 - 5 StR 134 /15, NJW 2017, 578 Rn. 27).

Nicht jede Missachtung der gebotenen Sorgfalt bei der Entscheidungsfindung begründet eine Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB, verletzt mithin die Vermögensbetreuungspflicht als Hauptpflicht. So liegt es namentlich bei einem Verstoß gegen Informations- und Prüfungspflichten. Ihm kommt im Grundsatz nur indizielle Bedeutung zu (s. BGH vom 21. Dezember 2005 - 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, 344; Beschluss vom 26. November 2015 - 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 Rn. 57, 60; Urteile vom 12. Oktober 2016 - 5 StR 134/15, NJW 2017, 578 Rn. 31; vom 21. Februar 2017 - 1 StR 296/16, BGHSt 62, 144 Rn. 63). Wiegt er allerdings schwer, kann er - abhängig vom Charakter des zu beurteilenden unternehmerischen Handelns - schon für sich gesehen zu einer Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht führen (zu risikobehafteten Kreditvergaben und Fondsgeschäften von Banken vgl. BGH, Urteile vom 15. November 2001 - 1 StR 185/01, BGHSt 47, 148, 150, 152 f.; vom 21. Dezember 2005 - 3 StR 470/04, aaO; vom 13. August 2009 - 3 StR 576/08, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Pflichtwidrigkeit 5 Rn. 27; vom 28. Mai 2013 - 5 StR 551/11, NStZ 2013, 715).

Die Rechtsprechung zu § 266 Abs. 1 StGB korreliert mit der gesellschaftsrechtlichen Beurteilung, die als sog. Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften kodifiziert (s. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2016 - 5 StR 134/15, NJW 2017, 578 Rn. 29), jedoch allgemein anwendbar ist, soweit unternehmerisches Handeln im fremden Interesse bewertet wird (vgl. für den Geschäftsführer einer GmbH BGH, Beschluss vom 26. November 2015 - 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 Rn. 57). Diese Vorschrift schafft einen "Handlungsfreiraum" (BT.-Drucks. 15/5092, S. 10, 12); sie schließt eine Pflichtverletzung nach dem Maßstab des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG aus, "wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln". Liegen die Voraussetzungen nicht vor, muss gleichwohl eine (Haupt-)Pflichtverletzung des Vorstandsmitglieds positiv festgestellt werden, um seine Verantwortlichkeit zu begründen. Der Verstoß gegen die Business Judgement Rule, etwa die Entscheidung auf unzulänglicher Tatsachengrundlage, indiziert allerdings in der Regel eine solche Pflichtverletzung (s. MüKoAktG/Spindler, 5. Aufl., § 93 Rn. 47 mwN). Sie ist letztlich nur dann zu bejahen, wenn ein schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorliegt; der Leitungsfehler muss sich auch einem Außenstehenden förmlich aufdrängen (s. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2016 - 5 StR 134/15, NJW 2017, 578 Rn. 31 mwN).

Soweit Leitungspersonen ein unternehmerischer Entscheidungsspielraum eröffnet ist, haben die letztgenannten Kriterien - die Unvertretbarkeit des Handelns sowie die Evidenz des Leitungsfehlers - entsprechend für die Pflichtwidrigkeit gemäß § 266 Abs, 1 StGB zu gelten.

bb) Aus dem Sparsamkeitsgebot ergibt sich nichts anderes. In ihm findet ebenfalls der äußere Begrenzungsrahmen des dem Unternehmer eingeräumten weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraums Ausdruck (s. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2018 - 4 StR 561/17, NStZ-RR 2018, 349, 350 [für die privatwirtschaftlich betriebene GmbH]; ferner BGH, Beschluss vom 8. Januar 2020 - 5 StR 366/19, BGHSt 64, 256 Rn. 17 [für den Bereich der öffentlichen Verwaltung]). Eine im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB pflichtwidrige Verletzung dieses Gebots liegt regelmäßig erst dann vor, wenn eine sachlich nicht mehr zu rechtfertigende und damit - ersichtlich - unangemessene Gegenleistung gewährt wird (s. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2018 - 4 StR 561/17, aaO; GJW/Waßmer, Wirtschafts- und Steuerrecht, 2. Aufl., § 266 StGB Rn. 134).

(...)

 

 

BGH, Beschluss vom 17.12.2020 Az. 3 StR 403/19

(Vorinstanz: LG Oldenburg)

noch unveröffentlicht

 

Der Bundesgerichtshof hat in einem von uns betreuten Verfahren die Vermögensbetreuungspflichten von unternehmerischen Leitungspersonen konkretisiert. Im Streitfall geht es um die Leitung eines als Eigenbetrieb und gGmbH organisierten städtischen Krankenhauses und um die Pflichten derjenigen städtischen Ratsmitglieder, die die Stadt in der Gesellschafterversammlung vertreten haben.

 

Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilung des Geschäftsführers, des Oberbürgermeisters und der Ratsmitglieder aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Oldenburg zurückverwiesen.

 

Aus den Gründen

(...)

a) Die Entscheidung über die Beendigung der Geschäftsführeranstellung stellt unternehmerisches Handeln dar. Hierfür gilt:

aa) Nimmt der Vermögensbetreuungspflichtige unternehmerische Führungs- und Gestaltungsaufgaben wahr, ist ihm regelmäßig ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum eröffnet. Eine Pflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB liegt erst vor, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird oder das Verhalten des Vermögensbetreuungspflichtigen aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss (s. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2005 - 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, 336, 344; Beschluss vom 26. November 2015 - 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 Rn. 57; Urteil vom 12. Oktober 2016 - 5 StR 134/15, NJW 2017, 578 Rn. 28 f.). Bewegt sich das Verhalten jenseits des äußeren Begrenzungsrahmens des unternehmerischen Entscheidungsspielraums, liegt ein Verstoß gegen gesellschaftsrechtliche Pflichten vor, der zugleich eine Pflichtwidrigkeit gemäß § 266 Abs. 1 StGB begründet. Ein solcher Pflichtverstoß stellt sich - gleichsam "automatisch" - als gravierend im Sinne der zur Begrenzung des Untreuetatbestandes entwickelten Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2020 - 5 StR 366/19, BGHSt 64, 246 Rn. 17 mwN; ferner BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170, 210 f.) dar (s. BGH, Beschluss vom 26. November 2015 - 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 Rn. 60; Urteil vom 12. Oktober 2016 - 5 StR 134 /15, NJW 2017, 578 Rn. 27).

Nicht jede Missachtung der gebotenen Sorgfalt bei der Entscheidungsfindung begründet eine Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB, verletzt mithin die Vermögensbetreuungspflicht als Hauptpflicht. So liegt es namentlich bei einem Verstoß gegen Informations- und Prüfungspflichten. Ihm kommt im Grundsatz nur indizielle Bedeutung zu (s. BGH vom 21. Dezember 2005 - 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, 344; Beschluss vom 26. November 2015 - 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 Rn. 57, 60; Urteile vom 12. Oktober 2016 - 5 StR 134/15, NJW 2017, 578 Rn. 31; vom 21. Februar 2017 - 1 StR 296/16, BGHSt 62, 144 Rn. 63). Wiegt er allerdings schwer, kann er - abhängig vom Charakter des zu beurteilenden unternehmerischen Handelns - schon für sich gesehen zu einer Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht führen (zu risikobehafteten Kreditvergaben und Fondsgeschäften von Banken vgl. BGH, Urteile vom 15. November 2001 - 1 StR 185/01, BGHSt 47, 148, 150, 152 f.; vom 21. Dezember 2005 - 3 StR 470/04, aaO; vom 13. August 2009 - 3 StR 576/08, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Pflichtwidrigkeit 5 Rn. 27; vom 28. Mai 2013 - 5 StR 551/11, NStZ 2013, 715).

Die Rechtsprechung zu § 266 Abs. 1 StGB korreliert mit der gesellschaftsrechtlichen Beurteilung, die als sog. Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften kodifiziert (s. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2016 - 5 StR 134/15, NJW 2017, 578 Rn. 29), jedoch allgemein anwendbar ist, soweit unternehmerisches Handeln im fremden Interesse bewertet wird (vgl. für den Geschäftsführer einer GmbH BGH, Beschluss vom 26. November 2015 - 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 Rn. 57). Diese Vorschrift schafft einen "Handlungsfreiraum" (BT.-Drucks. 15/5092, S. 10, 12); sie schließt eine Pflichtverletzung nach dem Maßstab des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG aus, "wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln". Liegen die Voraussetzungen nicht vor, muss gleichwohl eine (Haupt-)Pflichtverletzung des Vorstandsmitglieds positiv festgestellt werden, um seine Verantwortlichkeit zu begründen. Der Verstoß gegen die Business Judgement Rule, etwa die Entscheidung auf unzulänglicher Tatsachengrundlage, indiziert allerdings in der Regel eine solche Pflichtverletzung (s. MüKoAktG/Spindler, 5. Aufl., § 93 Rn. 47 mwN). Sie ist letztlich nur dann zu bejahen, wenn ein schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorliegt; der Leitungsfehler muss sich auch einem Außenstehenden förmlich aufdrängen (s. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2016 - 5 StR 134/15, NJW 2017, 578 Rn. 31 mwN).

Soweit Leitungspersonen ein unternehmerischer Entscheidungsspielraum eröffnet ist, haben die letztgenannten Kriterien - die Unvertretbarkeit des Handelns sowie die Evidenz des Leitungsfehlers - entsprechend für die Pflichtwidrigkeit gemäß § 266 Abs, 1 StGB zu gelten.

bb) Aus dem Sparsamkeitsgebot ergibt sich nichts anderes. In ihm findet ebenfalls der äußere Begrenzungsrahmen des dem Unternehmer eingeräumten weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraums Ausdruck (s. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2018 - 4 StR 561/17, NStZ-RR 2018, 349, 350 [für die privatwirtschaftlich betriebene GmbH]; ferner BGH, Beschluss vom 8. Januar 2020 - 5 StR 366/19, BGHSt 64, 256 Rn. 17 [für den Bereich der öffentlichen Verwaltung]). Eine im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB pflichtwidrige Verletzung dieses Gebots liegt regelmäßig erst dann vor, wenn eine sachlich nicht mehr zu rechtfertigende und damit - ersichtlich - unangemessene Gegenleistung gewährt wird (s. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2018 - 4 StR 561/17, aaO; GJW/Waßmer, Wirtschafts- und Steuerrecht, 2. Aufl., § 266 StGB Rn. 134).

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