BFH: Rechtswidrige Verfahrenseinleitung hemmt nicht die Festsetzungsfrist für Hinterziehungszinsen

Nach § 239 Abs. 1 Nr. 3 AO läuft die Festsetzungsfrist für Hinterziehungszinsen nicht vor rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens ab. Was aber, wenn das Strafverfahren, insb. wegen Verjährung, gar nicht hätte eingeleitet werden dürfen?

Leitsätze

1. Nach dem das Strafverfahren beherrschenden Legalitätsprinzip sind die Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, nach Eingang einer Selbstanzeige ein Strafverfahren zum Zwecke der Prüfung der Straffreiheit gemäß § 371 Abs. 1 und 3 AO einzuleiten. Eine derartige Strafverfahrenseinleitung hemmt den Anlauf der Frist zur Festsetzung von Hinterziehungszinsen gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO.

2. Ausnahmsweise hemmt aber eine Strafverfahrenseinleitung, die sich nach den für die Strafverfolgungsbehörden zum Zeitpunkt der Einleitung bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen als greifbar rechtswidrig darstellt, den Anlauf der Festsetzungsfrist nicht.

Aus den Gründen

(Zunächst führt der Bundesfinanzhof aus, dass die Finanzbehörde eine Selbstanzeige grundsätzlich zum Anlass nehmen darf, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten)

Die Einleitung des Strafverfahrens war in Bezug auf die Vergehen der Einkommensteuerhinterziehung 1987 bis 1991 greifbar rechtswidrig. Eine Anlaufhemmung ist daher nicht eingetreten.

aa) Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für Vergehen der Einkommensteuerhinterziehung 1987 bis 1991 ergaben sich aus der Selbstanzeige des Klägers. Bei der Prüfung des Anfangsverdachts sind der Strabu keine Fehler unterlaufen, zumal ihr diesbezüglich ein Beurteilungsspielraum zustand (Meyer-Goßner, a.a.O., § 152 Rz 4, m.w.N.; Jäger in Franzen/Gast/Joecks, a.a.O., § 397 Rz 63, m.w.N.), den sie nicht überschritten hat.

bb) Die Taten der Einkommensteuerhinterziehung 1987 bis 1991 waren aber verjährt und deshalb nicht mehr verfolgbar. Das Vorliegen dieses Verfahrenshindernisses war bereits im Zeitpunkt der Kenntniserlangung von zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten leicht und eindeutig feststellbar. Die Verjährungsfrist beträgt bei Steuerhinterziehung gemäß § 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 5 des Strafgesetzbuchs (StGB) fünf Jahre. Die Frist beginnt mit Bekanntgabe des "falschen" Einkommensteuerbescheids an den Steuerpflichtigen (§ 78a StGB; BFH-Urteil vom 7. Oktober 1997 VIII R 52/94, BFH/NV 1998, 1059). Übertragen auf die dem Zinsbescheid zugrundeliegenden Straftaten bedeutet dies für die Einkommensteuerhinterziehung 1991, dass Strafverfolgungsverjährung mit Ablauf des 17. Dezember 1997 eintrat, weil die Bekanntgabe des "falschen" Einkommensteuerbescheids 1991 auf den 18. Dezember 1992 datiert. Die noch älteren Taten waren ohnehin verjährt. Die Einkommensteuerhinterziehung 1992 war dahingegen im Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens im Oktober 1998 noch verfolgbar, weil der "falsche" Bescheid am 20. Dezember 1993 bekannt gegeben worden war und die Straftat folglich erst im Dezember 1998 verjährte.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 29.4.2008, VIII R 5/06

 

19.09.2008, Dr. Bachmann

Nach § 239 Abs. 1 Nr. 3 AO läuft die Festsetzungsfrist für Hinterziehungszinsen nicht vor rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens ab. Was aber, wenn das Strafverfahren, insb. wegen Verjährung, gar nicht hätte eingeleitet werden dürfen?

Leitsätze

1. Nach dem das Strafverfahren beherrschenden Legalitätsprinzip sind die Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, nach Eingang einer Selbstanzeige ein Strafverfahren zum Zwecke der Prüfung der Straffreiheit gemäß § 371 Abs. 1 und 3 AO einzuleiten. Eine derartige Strafverfahrenseinleitung hemmt den Anlauf der Frist zur Festsetzung von Hinterziehungszinsen gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO.

2. Ausnahmsweise hemmt aber eine Strafverfahrenseinleitung, die sich nach den für die Strafverfolgungsbehörden zum Zeitpunkt der Einleitung bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen als greifbar rechtswidrig darstellt, den Anlauf der Festsetzungsfrist nicht.

Aus den Gründen

(Zunächst führt der Bundesfinanzhof aus, dass die Finanzbehörde eine Selbstanzeige grundsätzlich zum Anlass nehmen darf, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten)

Die Einleitung des Strafverfahrens war in Bezug auf die Vergehen der Einkommensteuerhinterziehung 1987 bis 1991 greifbar rechtswidrig. Eine Anlaufhemmung ist daher nicht eingetreten.

aa) Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für Vergehen der Einkommensteuerhinterziehung 1987 bis 1991 ergaben sich aus der Selbstanzeige des Klägers. Bei der Prüfung des Anfangsverdachts sind der Strabu keine Fehler unterlaufen, zumal ihr diesbezüglich ein Beurteilungsspielraum zustand (Meyer-Goßner, a.a.O., § 152 Rz 4, m.w.N.; Jäger in Franzen/Gast/Joecks, a.a.O., § 397 Rz 63, m.w.N.), den sie nicht überschritten hat.

bb) Die Taten der Einkommensteuerhinterziehung 1987 bis 1991 waren aber verjährt und deshalb nicht mehr verfolgbar. Das Vorliegen dieses Verfahrenshindernisses war bereits im Zeitpunkt der Kenntniserlangung von zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten leicht und eindeutig feststellbar. Die Verjährungsfrist beträgt bei Steuerhinterziehung gemäß § 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 5 des Strafgesetzbuchs (StGB) fünf Jahre. Die Frist beginnt mit Bekanntgabe des "falschen" Einkommensteuerbescheids an den Steuerpflichtigen (§ 78a StGB; BFH-Urteil vom 7. Oktober 1997 VIII R 52/94, BFH/NV 1998, 1059). Übertragen auf die dem Zinsbescheid zugrundeliegenden Straftaten bedeutet dies für die Einkommensteuerhinterziehung 1991, dass Strafverfolgungsverjährung mit Ablauf des 17. Dezember 1997 eintrat, weil die Bekanntgabe des "falschen" Einkommensteuerbescheids 1991 auf den 18. Dezember 1992 datiert. Die noch älteren Taten waren ohnehin verjährt. Die Einkommensteuerhinterziehung 1992 war dahingegen im Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens im Oktober 1998 noch verfolgbar, weil der "falsche" Bescheid am 20. Dezember 1993 bekannt gegeben worden war und die Straftat folglich erst im Dezember 1998 verjährte.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 29.4.2008, VIII R 5/06

 

19.09.2008, Dr. Bachmann

Go back