BFH: Die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ist nicht verfassungswidrig.

Viele Steuerpflichtige wenden sich gegen die Besteuerung ihrer Kapitaleinkünfte, da wegen des Vollzugsdefizits eine ungleiche und daher ungerechte Steuerpraxis herrsche. Der Bundesfinanzhof teilt diese Auffassung nicht, insbesondere, weil inzwischen verschiedene Maßnahmen getroffen wurden, um die gleichmäßige Steuererhebung zu verbessern. Zu der Frage, ob die Steueramnestie mit ihren ermäßigten Steuersätzen für Straftäter einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darstelle, äußert sich der BFH in dieser Entscheidung nicht. Hierzu hat das FG Köln das Bundesverfassungsgericht angerufen [unsere Meldung vom 1.11.05]. Der Leitsatz des BFH lautet: Die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist auch in den Veranlagungszeiträumen seit 1994 nicht verfassungswidrig. Aus den Gründen:1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kann die gesetzliche Besteuerungsgrundlage verfassungswidrig sein, wenn die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt wird (sog. strukturelles Vollzugsdefizit; vgl. BVerfG- Urteile vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 268 ff., BStBl II 1991, 654, 664 ff. zur Zinsbesteuerung, sog. Zinsurteil; und vom 9. März 2004 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, 112 ff., BStBl II 2005, 56, 62 ff. zur Besteuerung von Veräußerungsgeschäften bei Wertpapieren, sog. Spekulationsurteil). a) Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Demzufolge ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet, das steuerliche Erhebungsverfahren so zu gestalten, dass es bei gesetzmäßigem Vollzug geeignet ist, die gleichmäßige Erhebung der Steuer prinzipiell zu gewährleisten - etwa mit dem Instrument des Quellenabzugs oder, im Veranlagungsverfahren, mit der Ergänzung des Deklarationsprinzips durch das Verifikationsprinzip (BVerfG-Urteile in BVerfGE 84, 239, 271, 273, BStBl II 1991, 654, 665 f., und in BVerfGE 110, 94, 113, BStBl II 2005, 56, 63). b) Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit des gesetzlichen Besteuerungsanspruchs nach sich ziehen. Ein tatsächlicher Vollzugsmangel reicht dafür nicht aus. Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen, führen allein nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm. Prinzipiell verfehlt wird die verfassungsrechtlich gebotene Gleichheit im Belastungserfolg durch eine Erhebungsregel, die bewirkt, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann (BVerfG-Urteile in BVerfGE 84, 239, 272, BStBl II 1991, 654, 665, und in BVerfGE 110, 94, 113, BStBl II 2005, 56, 62). Ist dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen und fällt die dies bewirkende Regelung in seinen Verantwortungsbereich, so begründet sie im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden materiellen Steuernorm deren Verfassungswidrigkeit (BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, 113, BStBl II 2005, 56, 62, m.w.N.). c) Zuzurechnen ist dem Gesetzgeber ein solcher Mangel, wenn sich ihm die Erkenntnis aufdrängen musste, dass für die in Frage stehende Steuer mit Blick auf die Erhebungsart sowie die nähere Regelung des Erhebungsverfahrens das von Verfassungs wegen vorgegebene Ziel der Gleichheit im Belastungserfolg prinzipiell nicht zu erreichen sein würde (BVerfG-Urteile in BVerfGE 84, 239, 272, BStBl II 1991, 654, 666, und in BVerfGE 110, 94, 112, 136, BStBl II 2005, 56, 62, 70). d) Lässt sich der Umfang der tatsächlich nicht erfassten, aber steuerbaren Einkünfte nicht genau ermitteln, kann ein strukturelles Erhebungsdefizit gleichwohl festgestellt werden auf Grund einer Analyse der verfahrensrechtlichen Strukturen und auf Grund von Kenntnissen über die tatsächlichen Abläufe des Veranlagungsverfahrens (BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, 114 ff., BStBl II 2005, 56, 63 f.). … 2. Wie der erkennende Senat bereits in seinen die Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung im Veranlagungszeitraum 1993 betreffenden Urteilen (Senatsurteile vom 18. Februar 1997 VIII R 33/95, BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499; vom 24. Juni 1997 VIII R 25/97, juris, und vom 15. Dezember 1998 VIII R 6/98, BFHE 187, 302, BStBl II 1999, 138) und Beschlüssen (Senatsbeschlüsse vom 19. Februar 1999 VIII B 3/98, BFH/NV 1999, 1079, und vom 22. Februar 1999 VIII B 29/98, BFH/NV 1999, 931) entschieden hat, hat sich der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Zinsbesteuerung seit 1993 durch das Gesetz zur Neuregelung der Zinsbesteuerung (Zinsabschlaggesetz) vom 9. November 1992 (BGBl I 1992, 1853) im Rahmen der ihm zustehenden Gestaltungsfreiheit gehalten. Aus seiner maßgeblichen Sicht des Jahres 1992 durfte der Gesetzgeber aufgrund seines Einschätzungs- und Prognosespielraums davon ausgehen, dass die durch das Zinsabschlaggesetz eingeführten Erhebungsmöglichkeiten (dazu: Senatsurteil in BFHE 183, 45, 52, BStBl II 1997, 499, 502) geeignet sein würden, die tatsächliche Gleichheit im Belastungserfolg bei von inländischen Zahlstellen bezogenen Zinsen zukünftig in ausreichendem Maße zu gewährleisten. a) Der Senat hat dazu u.a. ausgeführt, das vom BVerfG für frühere Veranlagungszeiträume festgestellte Erhebungsdefizit sei erheblich reduziert worden durch die Verzehnfachung des Sparer- Freibetrags und die Einführung einer anrechenbaren Zinsabschlagsteuer auf von inländischen Zahlstellen bezogene Zinseinkünfte in Höhe von 30 v.H. und bei Tafelgeschäften von 35 v.H. Ein nennenswertes Erhebungsdefizit könne danach nur noch vorkommen einerseits bei von ausländischen Zahlstellen bezogenen Kapitalerträgen, bei denen eine Quellensteuer nicht erhoben werde und andererseits bei von inländischen Zahlstellen bezogenen Kapitalerträgen, soweit sie bei einzelnen Steuerpflichtigen mit einem über dem Zinsabschlag liegenden Grenzsteuersatz belegt seien. Letzteres setzt voraus, dass die Steuerpflichtigen den (anonymen) Abzug der Quellensteuer hinnehmen, die Zinseinkünfte jedoch anschließend in ihrer Einkommensteuererklärung nicht erklären. b) Hinsichtlich der im Ausland bezogenen, im Inland steuerbaren Kapitalerträge hat der Senat die Verantwortlichkeit des Gesetzgebers für die Nichtüberprüfbarkeit des Erklärungsverhaltens der Steuerpflichtigen wegen des Territorialitätsprinzips verneint (Senatsurteil in BFHE 183, 45, 54, BStBl II 1997, 499, 503). Der Gesetzgeber sei aus berechtigten gesamtwirtschaftlichen Gründen auch nicht verpflichtet gewesen, den Finanzbehörden den Zugriff auf Bankdaten über die Kapitalverlagerung ins Ausland zu verschaffen, um so die Schätzung von im Ausland bezogenen Kapitalerträgen zu ermöglichen (vgl. dazu insbesondere: Senatsurteil in BFHE 187, 302, 304, BStBl II 1999, 138, 139). Daran hält der Senat auch für die Folgejahre, und soweit auch für die hier streitigen Veranlagungszeiträume 1994, 1995, 2000 und 2001 uneingeschränkt fest. Die Kläger haben in dieser Frage keine neuen Gesichtspunkte angeführt, mit denen sich der Senat nicht bereits auseinander gesetzt hat. Insbesondere sind dem Gesetzgeber zurechenbare Versäumnisse beim Zustandekommen oder bei der Umsetzung der am 1. Juli 2005 in Kraft getretenen EU-Zinsrichtlinie weder dargetan noch ersichtlich (Richtlinie des Rates --EGRL-- 2003/48/EGRL vom 3. Juni 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen, Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- vom 26. Juni 2003 L 157/38; Entscheidung des Rates vom 19. Juli 2004 zum Zeitpunkt der Anwendung der 2003/48/EGRL im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen, ABlEU vom 4. August 2004 L 257/7; Verordnung zur Umsetzung der 2003/48/EGRL des Rates vom 3. Juni 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen, Zinsinformationsverordnung --ZIV-- vom 26. Januar 2004, BGBl I 2004, 128, geändert durch die Erste Verordnung zur Änderung der ZIV vom 22. Juni 2005, BGBl I 2005, 1692; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- Einführungsschreiben zur ZIV vom 9. Dezember 2004 IV C 1 -S 2000- 352/04, BStBl I 2005, 29). … c) Auch hinsichtlich eines etwaigen verbleibenden Erhebungsdefizits bei den von inländischen Zahlstellen bezogenen Zinseinkünften hat der Senat die Verantwortlichkeit des Gesetzgebers verneint. aa) Er hat dies zum einen mit der Behauptung gerechtfertigt, die wesentliche Ursache dafür liege nicht in der rechtlichen Gestaltung des Erhebungsverfahrens. Das Steuerverfahrensrecht stelle den Finanzbehörden für die vollständige Erfassung der Zinseinkünfte ausreichende Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Dieser Beurteilung stehe --bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift-- auch § 30a AO 1977 nicht entgegen (Senatsurteil in BFHE 183, 45, 55 ff., BStBl II 1997, 499, 504 f.; Dötsch, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1999, 221). bb) Er hat zum anderen darauf abgestellt, dass sich der Gesetzgeber --trotz Beibehaltung des § 30a AO 1977 und der Nichteinführung eines Systems anlassloser Stichprobenkontrollen-- im Rahmen des ihm verbliebenen Gestaltungsspielraums gehalten habe. Er habe bei seiner Prognose davon ausgehen dürfen, dass Gerichte und Behörden das im Zinsurteil festgestellte und gerügte "Klima der Zurückhaltung und des Zögerns" in der Folgezeit vermutlich aufgeben würden (Senatsurteil in BFHE 183, 45, 63 f., BStBl II 1997, 499, 508). 3. Zumindest für die Veranlagungszeiträume bis einschließlich 1997 war der Gesetzgeber berechtigt, die tatsächliche Wirkung des durch das Zinsabschlaggesetz geänderten Erhebungsverfahrens und dessen Umsetzung durch Behörden und Gerichte bei den von inländischen Zahlstellen bezogenen Zinseinkünften abzuwarten und die weitere Entwicklung zu beobachten. a) Wie sich das Zinsurteil des BVerfG und die gesetzliche Neuregelung der Zinsbesteuerung auf die tatsächliche Erfassung der Zinseinkünfte zukünftig auswirken würde, war aus der maßgeblichen Sicht des Gesetzgebers 1992 ungewiss. Bei der Beurteilung zukünftiger tatsächlicher Entwicklungen hat das BVerfG dem Gesetzgeber stets einen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogenen Einschätzungsspielraum zugestanden. Dessen Reichweite ist abhängig von der Eigenart des betroffenen Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden und der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter (BVerfG-Urteile vom 1. März 1979 1 BvR 532, 533/77, 419/78, und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 332 f., und --aus neuerer Zeit-- vom 16. März 2004 1 BvR 1778/01, BVerfGE 110, 141, 157). … b) Diesem Maßstab wird das Zinsabschlaggesetz für Veranlagungszeiträume bis einschließlich 1997 gerecht. aa) Es kann offen bleiben, ob ein strukturelles Vollzugsdefizit schon deshalb ausscheidet, weil der Besteuerungsanspruch aus den von inländischen Zahlstellen bezogenen Zinseinkünften durch den Zinsabschlag bereits weitgehend realisiert wird. Da der Zinsabschlag bei Kapitalerträgen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 30 v.H. beträgt und Werbungskosten nicht berücksichtigt werden, wird der Besteuerungsanspruch sogar bei denjenigen Zinseinkünften, die dem früheren Spitzensteuersatz von 53 v.H. unterliegen, aufgrund des Zinsabschlags zu mehr als der Hälfte effektiv durchgesetzt. Bezogen auf den gesamten Besteuerungsanspruch aus im Inland bezogenen Zinseinkünften ist der durch den Zinsabschlag gewährleistete Erhebungsanteil wesentlich höher, da nicht alle Zinseinkünfte dem Spitzensteuersatz unterliegen. Eine möglicherweise verbleibende Besteuerungslücke bei über dem Zinsabschlag liegenden Grenzsteuersätzen hat sich zudem durch die kontinuierliche Senkung des Spitzensteuersatzes bis auf 42 v.H. im Veranlagungszeitraum 2005 bei gleich bleibender Höhe des Zinsabschlags erheblich verringert. Daran hat die Halbierung des Sparer-Freibetrags ab dem Veranlagungszeitraum 2000 nichts geändert. Auch die dadurch zusätzlich in die Steuerpflicht einbezogenen Zinseinkünfte unterliegen dem Zinsabschlag. Die auf sie entfallende Steuer wird demzufolge ebenfalls mehr als zur Hälfte effektiv erhoben. Tatsächlich war der Erhebungsanteil bei diesem Teil des Steueranspruchs jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit wesentlich höher. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die erwarteten steuerlichen Mehreinnahmen von ca. 3 Mrd. DM fast ausschließlich auf den Zinsabschlag entfallen würden (vgl. BTDrucks 14/23, S. 153 lfd. Nr. 72). Dem entsprach auch die tatsächliche Steigerung des Aufkommens aus dem Zinsabschlag (vgl. Risto/Julius, Der Betrieb --DB-- 2002 Beilage 4, 5). Es bestehen danach keine tatsächlichen Anhaltspunkte, dass die Halbierung des Sparer-Freibetrags eine Erhebungslücke bei den im Inland bezogenen Zinseinkünften erheblich vergrößert haben könnte. Das Quellenabzugsverfahren begegnet seinerseits keinen durchgreifenden Wirksamkeitsbedenken. Etwaige Mängel und Versäumnisse bei der erstmaligen Umsetzung des Mitteilungsverfahrens gemäß § 45d EStG, das die unberechtigte mehrfache Inanspruchnahme des Sparer-Freibetrags verhindern soll (vgl. Bemerkungen des Bundesrechnungshofs --BRH-- 1996 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung, BTDrucks 13/5700, S. 127 ff.), waren technischer Natur und nicht im Erhebungsverfahren angelegt. Sie begründen deshalb kein strukturelles Vollzugsdefizit. … 4. Soweit der Gesetzgeber gleichwohl Anlass zur Nachbesserung der Zinsbesteuerung gehabt hätte, ist er dieser Verantwortung für die Veranlagungszeiträume seit 1998 gerecht geworden. a) Den Klägern ist zuzugeben, dass es die Bundesregierung seit 1998 als ihre Aufgabe angesehen hat, die tatsächliche Erfassung der Kapitaleinkünfte zu verbessern und dass sie insoweit auch von einem weiter bestehenden tatsächlichen Vollzugsdefizit ausgegangen ist (vgl. BTDrucks 15/481, S. 8). Daraus lässt sich jedoch nicht ohne weiteres auf die Verfassungswidrigkeit des vorherigen Zustands schließen. Drängt sich dem Gesetzgeber die Erkenntnis eines strukturellen Erhebungsmangels erst nachträglich auf, trifft ihn die verfassungsrechtliche Pflicht, den Mangel binnen einer angemessenen Frist zu beseitigen (BVerfG- Urteil in BVerfGE 84, 239, 272, BStBl II 1991, 654, 666). Dem folgend, hat der Gesetzgeber seit 1998 das im Regelfall der Besteuerung zur Anwendung kommende Ermittlungsinstrumentarium der Finanzämter kontinuierlich wesentlich erweitert und so im Ergebnis nahezu lückenlose Kontrollmöglichkeiten geschaffen, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt. b) In mehreren Schritten hat er zunächst mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1998 dasMitteilungsverfahren gemäß § 45d EStG inhaltlich ergänzt und die Verwendungsmöglichkeiten der Mitteilungen erweitert. Mit Wirkung seit Juli 2002 ist die Verwendungsbeschränkung vollständig entfallen. Danach können die Finanzämter bei dem Bundesamt für Finanzen im automatisierten Verfahren abfragen, bei welchen Kreditinstituten ein Steuerpflichtiger Freistellungsaufträge erteilt und in welcher Höhe er bei diesen Kreditinstituten steuerpflichtige Kapitalerträge erzielt hat. Daraus ergibt sich durch die Erteilung von Freistellungsaufträgen ein erheblich gesteigertes Entdeckungsrisiko für diejenigen Steuerpflichtigen, die bei im Inland bezogenen Zinseinkünften den Sparer-Freibetrag in Anspruch nehmen. Eine Kapitalanlage, für die ein Freistellungsauftrag nicht erteilt worden ist, kann auf diese Weise allerdings nicht ermittelt werden. c) Ab dem Veranlagungszeitraum 2004 sind die Kreditinstitute gemäß § 24c EStG verpflichtet, ihren Kunden eine schriftliche Jahresbescheinigung über Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne zu erteilen. Der Gesetzgeber hat zwar davon abgesehen, die Vorlage der Jahresbescheinigung in der Einkommensteuererklärung oder zumindest ihre Aufbewahrung durch die Steuerpflichtigen gesetzlich anzuordnen. Die Bescheinigung ist ausschließlich als Hilfestellung für die Steuerpflichtigen beim Ausfüllen der Steuererklärungsformulare gedacht (vgl. BTDrucks 15/1562, S. 33). Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass die Nichtvorlage der Jahresbescheinigung auf berechtigtes Anfordern durch das Finanzamt zumindest einen hinreichenden Anlass für weitere Ermittlungen darstellen kann (vgl. Harenberg, Neue Wirtschafts- Briefe --NWB-- Fach 3, S. 13141; a.A. Loschelder in Hermann/ Heuer/Raupach, --HHR--, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Jahrbuch 2004, § 24c EStG Anm. J 03-3). d) Schließlich haben u.a. die Finanzämter seit April 2005 die Möglichkeit, gemäß §§ 93 Abs. 7 und 8, 93b AO 1977 die Stammdaten für alle legitimationsgeprüften inländischen Bankkonten und Depots eines Steuerpflichtigen im Wege der Datenabfrage zu erfahren. Der Umfang der verfügbaren Daten ergibt sich aus § 24c des Gesetzes über das Kreditwesen --KredWG-- (zum Verfahren: BMF-Schreiben vom 10. März 2005, IV A 4 -S 0062- 1/05, BStBl I 2005, 422). Das BVerfG hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der das In-Kraft-Treten des Gesetzes verhindert werden sollte, abgelehnt (BVerfG-Beschluss vom 22. März 2005 1 BvR 2357/04, BFH/NV 2005, Beilage 3, S. 251). e) Aus derAmnestieregelung ergibt sich nichts anderes. Das Gesetz über die strafbefreiende Erklärung (StraBEG) vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2928) hat zwar die tatsächliche Erfassung u.a. der Einkommensteuer in den Veranlagungszeiträumen 1993 bis 2002 nachträglich beeinflusst. Auch beschränkt es die Ermittlungsbefugnisse der Finanzbehörden Steuerpflichtigen gegenüber, die eine wirksame strafbefreiende Erklärung abgegeben haben. Beide Umstände begründen indes kein strukturelles Erhebungsdefizit. Der Senat hat deshalb auch nicht auf die Einwände einzugehen, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des StraBEG erhoben worden sind. Der Gesetzgeber des StraBEG ging von einem erheblichen tatsächlichen Erhebungsdefizit aus. Die von den Koalitionsfraktionen geäußerte Erwartung zusätzlicher Einnahmen im Umfang von 5 Mrd. € (vgl. BTDrucks 15/1309, S. 2) war allerdings von Anfang an umstritten (BTDrucks 15/1722, S. 8). In der Annahme eines tatsächlichen Erhebungsdefizits liegt jedoch nicht zugleich das Eingeständnis eines strukturellen, das heißt eines im Erhebungsverfahren angelegten Vollzugsdefizits. Der Gesetzgeber ging vielmehr davon aus, dass die hinterzogenen Steuern innerhalb der dafür geltenden Festsetzungsfrist von zehn Jahren nicht mehr hätten realisiert werden können. Die sog. Brücke in die Steuerehrlichkeit zielte damit insbesondere auf die im Ausland bezogenen und verschwiegenen Kapitaleinkünfte (vgl. BTDrucks 15/1722, S. 8); sie bezweckte insofern gerade eine Verbesserung der Erhebungssituation (BTDrucks 15/1521, S. 9). Dass sie ein tatsächliches Erhebungsdefizit noch vergrößert haben könnte, ist nicht ersichtlich. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass die Amnestie in nennenswertem Umfang zu einem Verzicht auch auf "sichere Einnahmen" geführt hat (vgl. Stellungnahme des Bundesrates BTDrucks 15/1661, S. 2). Auch der Verzicht auf weitere Ermittlungen führt in diesem Zusammenhang nicht zu einem strukturellen Erhebungsdefizit. Er betrifft nicht den Regelfall des Erhebungsverfahrens. Vielmehr wird eine abschließende Ausnahmeregelung für "reuige" Steuerpflichtige und für Zeiträume getroffen, für die das Erhebungsverfahren bereits weitgehend abgeschlossen war. Verfassungsrechtlich verboten ist das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts (Bryde, Die Effektivität von Recht als Rechtsproblem, 1993, 20; BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, 113, BStBl II 2005, 56, 62). Das schließt Amnestieregelungen nicht aus. Es ist nicht widersprüchlich, bei "freiwilliger" Zahlung eines Teilbetrags auf weitere Ermittlungen zu verzichten, wenn die vollständige Durchsetzung des Besteuerungsanspruchs tatsächlich und rechtlich nicht möglich ist. Eine darauf gerichtete Regelung ist auch nicht auf Ineffektivität angelegt. … Bundesfinanzhof, Urteil vom 7. September 2005 VIII R 90/04 Vorinstanz: FG München vom 16. September 2003 12 K 1013/03

19.11.2005, Dr. Bachmann

Viele Steuerpflichtige wenden sich gegen die Besteuerung ihrer Kapitaleinkünfte, da wegen des Vollzugsdefizits eine ungleiche und daher ungerechte Steuerpraxis herrsche. Der Bundesfinanzhof teilt diese Auffassung nicht, insbesondere, weil inzwischen verschiedene Maßnahmen getroffen wurden, um die gleichmäßige Steuererhebung zu verbessern. Zu der Frage, ob die Steueramnestie mit ihren ermäßigten Steuersätzen für Straftäter einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darstelle, äußert sich der BFH in dieser Entscheidung nicht. Hierzu hat das FG Köln das Bundesverfassungsgericht angerufen [unsere Meldung vom 1.11.05]. Der Leitsatz des BFH lautet: Die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist auch in den Veranlagungszeiträumen seit 1994 nicht verfassungswidrig. Aus den Gründen:1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kann die gesetzliche Besteuerungsgrundlage verfassungswidrig sein, wenn die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt wird (sog. strukturelles Vollzugsdefizit; vgl. BVerfG- Urteile vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 268 ff., BStBl II 1991, 654, 664 ff. zur Zinsbesteuerung, sog. Zinsurteil; und vom 9. März 2004 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, 112 ff., BStBl II 2005, 56, 62 ff. zur Besteuerung von Veräußerungsgeschäften bei Wertpapieren, sog. Spekulationsurteil). a) Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Demzufolge ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet, das steuerliche Erhebungsverfahren so zu gestalten, dass es bei gesetzmäßigem Vollzug geeignet ist, die gleichmäßige Erhebung der Steuer prinzipiell zu gewährleisten - etwa mit dem Instrument des Quellenabzugs oder, im Veranlagungsverfahren, mit der Ergänzung des Deklarationsprinzips durch das Verifikationsprinzip (BVerfG-Urteile in BVerfGE 84, 239, 271, 273, BStBl II 1991, 654, 665 f., und in BVerfGE 110, 94, 113, BStBl II 2005, 56, 63). b) Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit des gesetzlichen Besteuerungsanspruchs nach sich ziehen. Ein tatsächlicher Vollzugsmangel reicht dafür nicht aus. Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen, führen allein nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm. Prinzipiell verfehlt wird die verfassungsrechtlich gebotene Gleichheit im Belastungserfolg durch eine Erhebungsregel, die bewirkt, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann (BVerfG-Urteile in BVerfGE 84, 239, 272, BStBl II 1991, 654, 665, und in BVerfGE 110, 94, 113, BStBl II 2005, 56, 62). Ist dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen und fällt die dies bewirkende Regelung in seinen Verantwortungsbereich, so begründet sie im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden materiellen Steuernorm deren Verfassungswidrigkeit (BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, 113, BStBl II 2005, 56, 62, m.w.N.). c) Zuzurechnen ist dem Gesetzgeber ein solcher Mangel, wenn sich ihm die Erkenntnis aufdrängen musste, dass für die in Frage stehende Steuer mit Blick auf die Erhebungsart sowie die nähere Regelung des Erhebungsverfahrens das von Verfassungs wegen vorgegebene Ziel der Gleichheit im Belastungserfolg prinzipiell nicht zu erreichen sein würde (BVerfG-Urteile in BVerfGE 84, 239, 272, BStBl II 1991, 654, 666, und in BVerfGE 110, 94, 112, 136, BStBl II 2005, 56, 62, 70). d) Lässt sich der Umfang der tatsächlich nicht erfassten, aber steuerbaren Einkünfte nicht genau ermitteln, kann ein strukturelles Erhebungsdefizit gleichwohl festgestellt werden auf Grund einer Analyse der verfahrensrechtlichen Strukturen und auf Grund von Kenntnissen über die tatsächlichen Abläufe des Veranlagungsverfahrens (BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, 114 ff., BStBl II 2005, 56, 63 f.). … 2. Wie der erkennende Senat bereits in seinen die Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung im Veranlagungszeitraum 1993 betreffenden Urteilen (Senatsurteile vom 18. Februar 1997 VIII R 33/95, BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499; vom 24. Juni 1997 VIII R 25/97, juris, und vom 15. Dezember 1998 VIII R 6/98, BFHE 187, 302, BStBl II 1999, 138) und Beschlüssen (Senatsbeschlüsse vom 19. Februar 1999 VIII B 3/98, BFH/NV 1999, 1079, und vom 22. Februar 1999 VIII B 29/98, BFH/NV 1999, 931) entschieden hat, hat sich der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Zinsbesteuerung seit 1993 durch das Gesetz zur Neuregelung der Zinsbesteuerung (Zinsabschlaggesetz) vom 9. November 1992 (BGBl I 1992, 1853) im Rahmen der ihm zustehenden Gestaltungsfreiheit gehalten. Aus seiner maßgeblichen Sicht des Jahres 1992 durfte der Gesetzgeber aufgrund seines Einschätzungs- und Prognosespielraums davon ausgehen, dass die durch das Zinsabschlaggesetz eingeführten Erhebungsmöglichkeiten (dazu: Senatsurteil in BFHE 183, 45, 52, BStBl II 1997, 499, 502) geeignet sein würden, die tatsächliche Gleichheit im Belastungserfolg bei von inländischen Zahlstellen bezogenen Zinsen zukünftig in ausreichendem Maße zu gewährleisten. a) Der Senat hat dazu u.a. ausgeführt, das vom BVerfG für frühere Veranlagungszeiträume festgestellte Erhebungsdefizit sei erheblich reduziert worden durch die Verzehnfachung des Sparer- Freibetrags und die Einführung einer anrechenbaren Zinsabschlagsteuer auf von inländischen Zahlstellen bezogene Zinseinkünfte in Höhe von 30 v.H. und bei Tafelgeschäften von 35 v.H. Ein nennenswertes Erhebungsdefizit könne danach nur noch vorkommen einerseits bei von ausländischen Zahlstellen bezogenen Kapitalerträgen, bei denen eine Quellensteuer nicht erhoben werde und andererseits bei von inländischen Zahlstellen bezogenen Kapitalerträgen, soweit sie bei einzelnen Steuerpflichtigen mit einem über dem Zinsabschlag liegenden Grenzsteuersatz belegt seien. Letzteres setzt voraus, dass die Steuerpflichtigen den (anonymen) Abzug der Quellensteuer hinnehmen, die Zinseinkünfte jedoch anschließend in ihrer Einkommensteuererklärung nicht erklären. b) Hinsichtlich der im Ausland bezogenen, im Inland steuerbaren Kapitalerträge hat der Senat die Verantwortlichkeit des Gesetzgebers für die Nichtüberprüfbarkeit des Erklärungsverhaltens der Steuerpflichtigen wegen des Territorialitätsprinzips verneint (Senatsurteil in BFHE 183, 45, 54, BStBl II 1997, 499, 503). Der Gesetzgeber sei aus berechtigten gesamtwirtschaftlichen Gründen auch nicht verpflichtet gewesen, den Finanzbehörden den Zugriff auf Bankdaten über die Kapitalverlagerung ins Ausland zu verschaffen, um so die Schätzung von im Ausland bezogenen Kapitalerträgen zu ermöglichen (vgl. dazu insbesondere: Senatsurteil in BFHE 187, 302, 304, BStBl II 1999, 138, 139). Daran hält der Senat auch für die Folgejahre, und soweit auch für die hier streitigen Veranlagungszeiträume 1994, 1995, 2000 und 2001 uneingeschränkt fest. Die Kläger haben in dieser Frage keine neuen Gesichtspunkte angeführt, mit denen sich der Senat nicht bereits auseinander gesetzt hat. Insbesondere sind dem Gesetzgeber zurechenbare Versäumnisse beim Zustandekommen oder bei der Umsetzung der am 1. Juli 2005 in Kraft getretenen EU-Zinsrichtlinie weder dargetan noch ersichtlich (Richtlinie des Rates --EGRL-- 2003/48/EGRL vom 3. Juni 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen, Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- vom 26. Juni 2003 L 157/38; Entscheidung des Rates vom 19. Juli 2004 zum Zeitpunkt der Anwendung der 2003/48/EGRL im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen, ABlEU vom 4. August 2004 L 257/7; Verordnung zur Umsetzung der 2003/48/EGRL des Rates vom 3. Juni 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen, Zinsinformationsverordnung --ZIV-- vom 26. Januar 2004, BGBl I 2004, 128, geändert durch die Erste Verordnung zur Änderung der ZIV vom 22. Juni 2005, BGBl I 2005, 1692; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- Einführungsschreiben zur ZIV vom 9. Dezember 2004 IV C 1 -S 2000- 352/04, BStBl I 2005, 29). … c) Auch hinsichtlich eines etwaigen verbleibenden Erhebungsdefizits bei den von inländischen Zahlstellen bezogenen Zinseinkünften hat der Senat die Verantwortlichkeit des Gesetzgebers verneint. aa) Er hat dies zum einen mit der Behauptung gerechtfertigt, die wesentliche Ursache dafür liege nicht in der rechtlichen Gestaltung des Erhebungsverfahrens. Das Steuerverfahrensrecht stelle den Finanzbehörden für die vollständige Erfassung der Zinseinkünfte ausreichende Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Dieser Beurteilung stehe --bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift-- auch § 30a AO 1977 nicht entgegen (Senatsurteil in BFHE 183, 45, 55 ff., BStBl II 1997, 499, 504 f.; Dötsch, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1999, 221). bb) Er hat zum anderen darauf abgestellt, dass sich der Gesetzgeber --trotz Beibehaltung des § 30a AO 1977 und der Nichteinführung eines Systems anlassloser Stichprobenkontrollen-- im Rahmen des ihm verbliebenen Gestaltungsspielraums gehalten habe. Er habe bei seiner Prognose davon ausgehen dürfen, dass Gerichte und Behörden das im Zinsurteil festgestellte und gerügte "Klima der Zurückhaltung und des Zögerns" in der Folgezeit vermutlich aufgeben würden (Senatsurteil in BFHE 183, 45, 63 f., BStBl II 1997, 499, 508). 3. Zumindest für die Veranlagungszeiträume bis einschließlich 1997 war der Gesetzgeber berechtigt, die tatsächliche Wirkung des durch das Zinsabschlaggesetz geänderten Erhebungsverfahrens und dessen Umsetzung durch Behörden und Gerichte bei den von inländischen Zahlstellen bezogenen Zinseinkünften abzuwarten und die weitere Entwicklung zu beobachten. a) Wie sich das Zinsurteil des BVerfG und die gesetzliche Neuregelung der Zinsbesteuerung auf die tatsächliche Erfassung der Zinseinkünfte zukünftig auswirken würde, war aus der maßgeblichen Sicht des Gesetzgebers 1992 ungewiss. Bei der Beurteilung zukünftiger tatsächlicher Entwicklungen hat das BVerfG dem Gesetzgeber stets einen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogenen Einschätzungsspielraum zugestanden. Dessen Reichweite ist abhängig von der Eigenart des betroffenen Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden und der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter (BVerfG-Urteile vom 1. März 1979 1 BvR 532, 533/77, 419/78, und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 332 f., und --aus neuerer Zeit-- vom 16. März 2004 1 BvR 1778/01, BVerfGE 110, 141, 157). … b) Diesem Maßstab wird das Zinsabschlaggesetz für Veranlagungszeiträume bis einschließlich 1997 gerecht. aa) Es kann offen bleiben, ob ein strukturelles Vollzugsdefizit schon deshalb ausscheidet, weil der Besteuerungsanspruch aus den von inländischen Zahlstellen bezogenen Zinseinkünften durch den Zinsabschlag bereits weitgehend realisiert wird. Da der Zinsabschlag bei Kapitalerträgen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 30 v.H. beträgt und Werbungskosten nicht berücksichtigt werden, wird der Besteuerungsanspruch sogar bei denjenigen Zinseinkünften, die dem früheren Spitzensteuersatz von 53 v.H. unterliegen, aufgrund des Zinsabschlags zu mehr als der Hälfte effektiv durchgesetzt. Bezogen auf den gesamten Besteuerungsanspruch aus im Inland bezogenen Zinseinkünften ist der durch den Zinsabschlag gewährleistete Erhebungsanteil wesentlich höher, da nicht alle Zinseinkünfte dem Spitzensteuersatz unterliegen. Eine möglicherweise verbleibende Besteuerungslücke bei über dem Zinsabschlag liegenden Grenzsteuersätzen hat sich zudem durch die kontinuierliche Senkung des Spitzensteuersatzes bis auf 42 v.H. im Veranlagungszeitraum 2005 bei gleich bleibender Höhe des Zinsabschlags erheblich verringert. Daran hat die Halbierung des Sparer-Freibetrags ab dem Veranlagungszeitraum 2000 nichts geändert. Auch die dadurch zusätzlich in die Steuerpflicht einbezogenen Zinseinkünfte unterliegen dem Zinsabschlag. Die auf sie entfallende Steuer wird demzufolge ebenfalls mehr als zur Hälfte effektiv erhoben. Tatsächlich war der Erhebungsanteil bei diesem Teil des Steueranspruchs jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit wesentlich höher. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die erwarteten steuerlichen Mehreinnahmen von ca. 3 Mrd. DM fast ausschließlich auf den Zinsabschlag entfallen würden (vgl. BTDrucks 14/23, S. 153 lfd. Nr. 72). Dem entsprach auch die tatsächliche Steigerung des Aufkommens aus dem Zinsabschlag (vgl. Risto/Julius, Der Betrieb --DB-- 2002 Beilage 4, 5). Es bestehen danach keine tatsächlichen Anhaltspunkte, dass die Halbierung des Sparer-Freibetrags eine Erhebungslücke bei den im Inland bezogenen Zinseinkünften erheblich vergrößert haben könnte. Das Quellenabzugsverfahren begegnet seinerseits keinen durchgreifenden Wirksamkeitsbedenken. Etwaige Mängel und Versäumnisse bei der erstmaligen Umsetzung des Mitteilungsverfahrens gemäß § 45d EStG, das die unberechtigte mehrfache Inanspruchnahme des Sparer-Freibetrags verhindern soll (vgl. Bemerkungen des Bundesrechnungshofs --BRH-- 1996 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung, BTDrucks 13/5700, S. 127 ff.), waren technischer Natur und nicht im Erhebungsverfahren angelegt. Sie begründen deshalb kein strukturelles Vollzugsdefizit. … 4. Soweit der Gesetzgeber gleichwohl Anlass zur Nachbesserung der Zinsbesteuerung gehabt hätte, ist er dieser Verantwortung für die Veranlagungszeiträume seit 1998 gerecht geworden. a) Den Klägern ist zuzugeben, dass es die Bundesregierung seit 1998 als ihre Aufgabe angesehen hat, die tatsächliche Erfassung der Kapitaleinkünfte zu verbessern und dass sie insoweit auch von einem weiter bestehenden tatsächlichen Vollzugsdefizit ausgegangen ist (vgl. BTDrucks 15/481, S. 8). Daraus lässt sich jedoch nicht ohne weiteres auf die Verfassungswidrigkeit des vorherigen Zustands schließen. Drängt sich dem Gesetzgeber die Erkenntnis eines strukturellen Erhebungsmangels erst nachträglich auf, trifft ihn die verfassungsrechtliche Pflicht, den Mangel binnen einer angemessenen Frist zu beseitigen (BVerfG- Urteil in BVerfGE 84, 239, 272, BStBl II 1991, 654, 666). Dem folgend, hat der Gesetzgeber seit 1998 das im Regelfall der Besteuerung zur Anwendung kommende Ermittlungsinstrumentarium der Finanzämter kontinuierlich wesentlich erweitert und so im Ergebnis nahezu lückenlose Kontrollmöglichkeiten geschaffen, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt. b) In mehreren Schritten hat er zunächst mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1998 dasMitteilungsverfahren gemäß § 45d EStG inhaltlich ergänzt und die Verwendungsmöglichkeiten der Mitteilungen erweitert. Mit Wirkung seit Juli 2002 ist die Verwendungsbeschränkung vollständig entfallen. Danach können die Finanzämter bei dem Bundesamt für Finanzen im automatisierten Verfahren abfragen, bei welchen Kreditinstituten ein Steuerpflichtiger Freistellungsaufträge erteilt und in welcher Höhe er bei diesen Kreditinstituten steuerpflichtige Kapitalerträge erzielt hat. Daraus ergibt sich durch die Erteilung von Freistellungsaufträgen ein erheblich gesteigertes Entdeckungsrisiko für diejenigen Steuerpflichtigen, die bei im Inland bezogenen Zinseinkünften den Sparer-Freibetrag in Anspruch nehmen. Eine Kapitalanlage, für die ein Freistellungsauftrag nicht erteilt worden ist, kann auf diese Weise allerdings nicht ermittelt werden. c) Ab dem Veranlagungszeitraum 2004 sind die Kreditinstitute gemäß § 24c EStG verpflichtet, ihren Kunden eine schriftliche Jahresbescheinigung über Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne zu erteilen. Der Gesetzgeber hat zwar davon abgesehen, die Vorlage der Jahresbescheinigung in der Einkommensteuererklärung oder zumindest ihre Aufbewahrung durch die Steuerpflichtigen gesetzlich anzuordnen. Die Bescheinigung ist ausschließlich als Hilfestellung für die Steuerpflichtigen beim Ausfüllen der Steuererklärungsformulare gedacht (vgl. BTDrucks 15/1562, S. 33). Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass die Nichtvorlage der Jahresbescheinigung auf berechtigtes Anfordern durch das Finanzamt zumindest einen hinreichenden Anlass für weitere Ermittlungen darstellen kann (vgl. Harenberg, Neue Wirtschafts- Briefe --NWB-- Fach 3, S. 13141; a.A. Loschelder in Hermann/ Heuer/Raupach, --HHR--, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Jahrbuch 2004, § 24c EStG Anm. J 03-3). d) Schließlich haben u.a. die Finanzämter seit April 2005 die Möglichkeit, gemäß §§ 93 Abs. 7 und 8, 93b AO 1977 die Stammdaten für alle legitimationsgeprüften inländischen Bankkonten und Depots eines Steuerpflichtigen im Wege der Datenabfrage zu erfahren. Der Umfang der verfügbaren Daten ergibt sich aus § 24c des Gesetzes über das Kreditwesen --KredWG-- (zum Verfahren: BMF-Schreiben vom 10. März 2005, IV A 4 -S 0062- 1/05, BStBl I 2005, 422). Das BVerfG hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der das In-Kraft-Treten des Gesetzes verhindert werden sollte, abgelehnt (BVerfG-Beschluss vom 22. März 2005 1 BvR 2357/04, BFH/NV 2005, Beilage 3, S. 251). e) Aus derAmnestieregelung ergibt sich nichts anderes. Das Gesetz über die strafbefreiende Erklärung (StraBEG) vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2928) hat zwar die tatsächliche Erfassung u.a. der Einkommensteuer in den Veranlagungszeiträumen 1993 bis 2002 nachträglich beeinflusst. Auch beschränkt es die Ermittlungsbefugnisse der Finanzbehörden Steuerpflichtigen gegenüber, die eine wirksame strafbefreiende Erklärung abgegeben haben. Beide Umstände begründen indes kein strukturelles Erhebungsdefizit. Der Senat hat deshalb auch nicht auf die Einwände einzugehen, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des StraBEG erhoben worden sind. Der Gesetzgeber des StraBEG ging von einem erheblichen tatsächlichen Erhebungsdefizit aus. Die von den Koalitionsfraktionen geäußerte Erwartung zusätzlicher Einnahmen im Umfang von 5 Mrd. € (vgl. BTDrucks 15/1309, S. 2) war allerdings von Anfang an umstritten (BTDrucks 15/1722, S. 8). In der Annahme eines tatsächlichen Erhebungsdefizits liegt jedoch nicht zugleich das Eingeständnis eines strukturellen, das heißt eines im Erhebungsverfahren angelegten Vollzugsdefizits. Der Gesetzgeber ging vielmehr davon aus, dass die hinterzogenen Steuern innerhalb der dafür geltenden Festsetzungsfrist von zehn Jahren nicht mehr hätten realisiert werden können. Die sog. Brücke in die Steuerehrlichkeit zielte damit insbesondere auf die im Ausland bezogenen und verschwiegenen Kapitaleinkünfte (vgl. BTDrucks 15/1722, S. 8); sie bezweckte insofern gerade eine Verbesserung der Erhebungssituation (BTDrucks 15/1521, S. 9). Dass sie ein tatsächliches Erhebungsdefizit noch vergrößert haben könnte, ist nicht ersichtlich. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass die Amnestie in nennenswertem Umfang zu einem Verzicht auch auf "sichere Einnahmen" geführt hat (vgl. Stellungnahme des Bundesrates BTDrucks 15/1661, S. 2). Auch der Verzicht auf weitere Ermittlungen führt in diesem Zusammenhang nicht zu einem strukturellen Erhebungsdefizit. Er betrifft nicht den Regelfall des Erhebungsverfahrens. Vielmehr wird eine abschließende Ausnahmeregelung für "reuige" Steuerpflichtige und für Zeiträume getroffen, für die das Erhebungsverfahren bereits weitgehend abgeschlossen war. Verfassungsrechtlich verboten ist das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts (Bryde, Die Effektivität von Recht als Rechtsproblem, 1993, 20; BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, 113, BStBl II 2005, 56, 62). Das schließt Amnestieregelungen nicht aus. Es ist nicht widersprüchlich, bei "freiwilliger" Zahlung eines Teilbetrags auf weitere Ermittlungen zu verzichten, wenn die vollständige Durchsetzung des Besteuerungsanspruchs tatsächlich und rechtlich nicht möglich ist. Eine darauf gerichtete Regelung ist auch nicht auf Ineffektivität angelegt. … Bundesfinanzhof, Urteil vom 7. September 2005 VIII R 90/04 Vorinstanz: FG München vom 16. September 2003 12 K 1013/03

19.11.2005, Dr. Bachmann

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