Kein Selbstbelastungszwang im Steuerstrafrecht (Nemo Tenetur)

Es gibt Rechtsfragen, deren Beantwortung so eindeutig ist, dass es einer höchstrichterlichen Entscheidung eigentlich nicht bedürfen sollte. Das betrifft auch das durch die Verfassung garantierte Recht, sich nicht selbst zu belasten.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem es ursprünglich nur um den Vorwurf unrichtiger monatlicher Umsatzsteuer-Voranmeldungen ging. Das Ermittlungsverfahren wurde noch im Dezember des betreffenden Jahres eingeleitet. Der Beschuldigte gab daraufhin keine Umsatzsteuer-Jahreserklärung für dieses Jahr ab. Das Landgericht verurteilte nicht nur wegen Steuerhinterziehung auf Grund unrichtiger Voranmeldungen, sondern auch wegen pflichtwidrig unterlassener Jahreserklärung.

Der BGH hob das Urteil (selbstverständlich!) auf. Denn die Jahreserklärung betraf ja denselben Zeitraum und dieselbe Steuer. Der Beschuldigte war nicht zur Abgabe der Jahreserklärung verpflichtet, weil er Gefahr gelaufen wäre, sich selbst zu belasten. Deshalb war die Nichtabgabe nicht "pflichtwidrig" i.S. des § 370 Absatz 1 Nr. 2 Abgabenordnung.

Der Entscheidung ist uneingeschränkt zu folgen. Jedem Steuerpflichtigen ist dringend zu raten, im laufenden Strafverfahren keine Steuererklärungen abzugeben, sofern damit die Gefahr einer Selbstbelastung (oder auch nur der Erweiterung des Strafverfahrens) verbunden ist. Nach unserer Auffassung muss das auch für nachfolgende Zeiträume gelten. Denn wenn einem Unternehmer vorgeworfen wird, über Jahre hinweg Umsätze und Gewinne unvollständig erklärt zu haben, steht stets der Verdacht im Raum, in gleicher Weise sei auch in nachfolgenden Jahren verfahren worden. Gibt er für diese späteren Zeiträume Erklärungen ab, die den Vorjahren entsprechen, wird das Strafverfahren fast automatisch erweitert. Gibt er jedoch Erklärungen auf dem Niveau ab, wie es der Ermittlungsbehörde vorschwebt, ist dies faktisch ein Geständnis bezüglich der Vorjahre. Der Ausweg aus dem Dilemma besteht darin, das Finanzamt zu informieren, dass einstweilen keine Voranmeldungen und Steuererklärungen eingereicht werden. Ein verständiges Finanzamt wird stattdessen maßvolle Schätzungsbescheide erlassen.

Quelle: BGH, Beschluss vom 26.04.01, 5 StR 587/00, nicht veröffentlicht
Salditt, Praxis Steuerstrafrecht 2001, Seite 141
HansOLG Hamburg, Beschluss vom 07.05.96, 2 StO 1/96, Strafverteidiger 1996, Seite 437
Grezesch, Steuererklärungspflichten im Strafverfahren, DStR 1997, Seite 1273

 

08.08.2001, Dr.

Es gibt Rechtsfragen, deren Beantwortung so eindeutig ist, dass es einer höchstrichterlichen Entscheidung eigentlich nicht bedürfen sollte. Das betrifft auch das durch die Verfassung garantierte Recht, sich nicht selbst zu belasten.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem es ursprünglich nur um den Vorwurf unrichtiger monatlicher Umsatzsteuer-Voranmeldungen ging. Das Ermittlungsverfahren wurde noch im Dezember des betreffenden Jahres eingeleitet. Der Beschuldigte gab daraufhin keine Umsatzsteuer-Jahreserklärung für dieses Jahr ab. Das Landgericht verurteilte nicht nur wegen Steuerhinterziehung auf Grund unrichtiger Voranmeldungen, sondern auch wegen pflichtwidrig unterlassener Jahreserklärung.

Der BGH hob das Urteil (selbstverständlich!) auf. Denn die Jahreserklärung betraf ja denselben Zeitraum und dieselbe Steuer. Der Beschuldigte war nicht zur Abgabe der Jahreserklärung verpflichtet, weil er Gefahr gelaufen wäre, sich selbst zu belasten. Deshalb war die Nichtabgabe nicht "pflichtwidrig" i.S. des § 370 Absatz 1 Nr. 2 Abgabenordnung.

Der Entscheidung ist uneingeschränkt zu folgen. Jedem Steuerpflichtigen ist dringend zu raten, im laufenden Strafverfahren keine Steuererklärungen abzugeben, sofern damit die Gefahr einer Selbstbelastung (oder auch nur der Erweiterung des Strafverfahrens) verbunden ist. Nach unserer Auffassung muss das auch für nachfolgende Zeiträume gelten. Denn wenn einem Unternehmer vorgeworfen wird, über Jahre hinweg Umsätze und Gewinne unvollständig erklärt zu haben, steht stets der Verdacht im Raum, in gleicher Weise sei auch in nachfolgenden Jahren verfahren worden. Gibt er für diese späteren Zeiträume Erklärungen ab, die den Vorjahren entsprechen, wird das Strafverfahren fast automatisch erweitert. Gibt er jedoch Erklärungen auf dem Niveau ab, wie es der Ermittlungsbehörde vorschwebt, ist dies faktisch ein Geständnis bezüglich der Vorjahre. Der Ausweg aus dem Dilemma besteht darin, das Finanzamt zu informieren, dass einstweilen keine Voranmeldungen und Steuererklärungen eingereicht werden. Ein verständiges Finanzamt wird stattdessen maßvolle Schätzungsbescheide erlassen.

Quelle: BGH, Beschluss vom 26.04.01, 5 StR 587/00, nicht veröffentlicht
Salditt, Praxis Steuerstrafrecht 2001, Seite 141
HansOLG Hamburg, Beschluss vom 07.05.96, 2 StO 1/96, Strafverteidiger 1996, Seite 437
Grezesch, Steuererklärungspflichten im Strafverfahren, DStR 1997, Seite 1273

 

08.08.2001, Dr.

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