FG-Rheinland-Pfalz: Chi-Quadrat-Test rechtfertigt keine Hinzuschätzung der Erlöse

Die Klägerin (Kl.) betreibt im Einzelunternehmen mit Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich einen Friseursalon. Die bei der Kl. für 2005 bis 2007 durchgeführte Außenprüfung bemängelte u. a., dass die Kassenbuchführung durch das Computer-Programm "Lexware" formell nicht ordnungsgemäß sei. Die Kassenbücher seien in Form von Excel-Tabellen geführt worden; es fehlten Kassenberichte. Des Weiteren seien die von der Kl. geführten Terminbücher nicht mehr vorhanden. Die Strukturanalyse mit "Chi-Test" hätte eine Manipulationswahrscheinlichkeit von 100 % ergeben. Die erklärten Umsatzerlöse seien daher um jährlich 3 000 € zu erhöhen. Dem folgte das FA und erließ für die Streitjahre nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AG dementsprechend geänderte Festsetzungen über Einkommensteuer und den Gewerbesteuermessbetrag. Dagegen richtet sich die Klage.

Aus den Gründen:


Die Klage ist begründet.

Die gesetzlichen Grundlagen (§ 162 Abs. 1 und 2 AO) für die erfolgten Zuschätzungen von jeweils 3 000 € lagen nicht vor. Die vom Prüfer gerügten formellen Mängel bei der Kassenführung vermag das Gericht nicht nachzuvollziehen; sachliche Mängel wurden nicht festgestellt. Eine Verletzung der klägerischen Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 1 AO) liegt gleichfalls nicht vor. Vielmehr sind gemäß § 158 AO die Buchführung und die Aufzeichnungen der Kl. der Besteuerung zugrunde zu legen.

Im Gegensatz zur finanzamtlichen Auffassung sind Kassenberichte nicht notwendigerweise auch dann zu erstellen, wenn - wie hier - ein computerunterstütztes Kassenbuch geführt wird, bei dem laufend die Kassenbestände festgehalten und ausgewiesen werden, sofern die Daten nicht nachträglich ohne erkennbaren (Storno-)Vermerk abgeändert werden können und jeder einzelne Umsatz (Einnahmen und Ausgaben) einzeln, chronologisch und untereinander festgehalten wird bzw. - bei lediglich Übernahme der Tageslosung - Uraufzeichnungen (z. B. Kassenstreifen, Kassenzettel u. ä.) vorhanden sind.
Der Hinweis des FA auf das Urteil des FG Münster v. 31. 8. 2000, 14 K 3305/98, BeckRS 2000, 26027597 zur Notwendigkeit zusätzlich auch der Kassenberichte geht fehl. Vielmehr hat das dortige Gericht unter Rz. 112 ausgeführt, dass es bei Bargeldgeschäften mit unbekannten Personen (hier: Eisdiele) ausreiche, wenn die Einnahmen in ein Kassenbuch eingetragen werden und das Zustandekommen dieses Betrages nachvollziehbar ist. Werde keine Registrierkasse eingesetzt, müsse der Betrag durch Kassenberichte ermittelt werden. Im Streitfall hat der Prüfer in seinem Bericht ausgeführt, dass "in einer gesonderten Spalte" des Kassenbuchs Bestände ausgewiesen sind. Somit ist die erforderliche "Kassensturzfähigkeit", d. h. die jederzeitige Abstimmbarkeit des buchmäßig festgehaltenen mit dem tatsächlichen Kassenbestand, gewährleistet. ( ...)

Es gereicht der Kl. auch nicht zum Nachteil, dass die für die Streitjahre geführten Terminbücher nicht mehr vorhanden sind bzw. sein sollen. Denn insoweit besteht keine Aufbewahrungspflicht. Terminbücher zählen nicht zu den in § 147 Abs. 1 AO genannten aufbewahrungspflichtigen Unterlagen. Denn der sachliche Umfang der dort statuierten Aufbewahrungspflicht wird begrenzt durch die Reichweite der zugrunde liegenden Aufzeichnungspflicht (grundlegend: BFHv.
24. 6. 2009, VIII R 80/06, BStBl II 2010, 452, BFHE 225, 302, DStR 2002~ 2006). Hiernach unterliegen der Aufbewahrungspflicht alle Unterlagen und Daten, die zum Verständnis und zur Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen von Bedeutung sind. Nicht dazu gehören Unterlagen und Daten, die nicht aufzeichnungspflichtige Vorgänge betreffen. Dies gilt auch für § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO. Hiernach sind zwar auch "sonstige", also nicht bereits nach Abs. 1 Nr. 1 bis 4a der Vorschrift erfasste " Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind" aufzubewahren. Dies gilt jedoch nur für solche Unterlagen, die zum Verständnis und zur Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sind. Hierunter fallen Terminbücher nicht (Niedersächsisches FG v. 17. 11. 2009, 15 K 12031/08, BeckRS 2011,95083, nachfolgend BFH v. 7. 12. 2010, IIIB 199/09, BFH/NV 2011,411, BeckRS 2011, 94261). Die Terminbücher haben für die Kl. letztlich organisatorische Bedeutung (Kundentermine, Vermeidung von Wartezeiten etc.). Sie können zwar für die Betriebsprüfung zum Abgleich der aufgezeichneten Tageseinnahmen Bedeutung gewinnen. Hier sind die Erlöse jedoch in den computergestützten Kassenbüchern täglich und laufend mit Bestandsausweis verzeichnet worden. Kassenfehlbeträge konnte der Prüfer bei dem bargeldintensiven Betrieb der Kl. nicht feststellen, ebenso wenig wie die Manipulation bzw. Manipulationsmöglichkeiten des verwendeten Software-Programms. Die Beweiskraft der klägerischen Buchführung (§ 158 AO) konnte im Streitfall auch nicht durch einen inneren oder äußeren Betriebsvergleich, eine Nachkalkulation oder eine -hier nicht durchgeführte Geldverkehrsrechnung oder Kassenfehlbetragsberechnung-erschüttert werden.
Zu dem kommt, dass im Streitfall die Reingewinnsätze von 31,44 im Jahr 2005, 38,21 im Jahr 2006 und 21,07 im Jahr 2007 nicht diejenigen der Richtsatzsammlung (21 % für 2005 und jeweils 18 % für 2006 und 2007) unterschreiten, sondern diese-z. T. erheblich-übersteigen.

Die von dem Beklagten (Bekl.) ins Feld geführte "Manipulationswahrscheinlichkeit von 100 %" aufgrund des vom Prüfer durchgeführten "Chi-Quadrat-Tests" kann nicht zur Zuschätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 1 AO führen. Der Test allein ist jedenfalls nicht geeignet, Beweise dafür zu erbringen, dass die Buchführung nicht ordnungsgemäß ist (Niedersächsisches FG v. 17. 11. 2009, 15 K 12031/08, a. a. 0., m. w. N.), abgesehen davon, dass er bei einem Friseursalon, bei dem - wie hier - für die Leistungen ausschließlich volle bzw. halbe Euro-Beträge berechnet werden, ungeeignet erscheint. Denn mit dem Chi-Quadrat-Test werden Verteilungseigenschaften einer statistischen Grundgesamtheit untersucht. Er stellt eine Methode dar, bei der empirisch festgestellte und theoretisch erwartete Häufigkeiten verglichen werden. Er fußt auf dem Grundgedanken, dass derjenige, der bei seinen Einnahmen unzutreffende Werte in das Kassenbuch/die Kassenberichte eingibt, unbewusst eine Vorliebe für bestimmte Lieblingszahlen hat und diese dementsprechend häufiger verwendet. Ausgehend von der Preisliste im Streitfall ergibt sich aber, dass naturgemäß die Zahl 0 wie auch die Zahlen 1, 4, 5 überdimensional häufig auftreten müssen (z. B. Fönfrisur: 15 €; Färben: 25 € bzw. 46,50 €; Fönen: 40,50 €).
Eine vom Bekl., aber selbst vom Prüfer nicht gerügte Verletzung der Mitwirkungspflicht der Kl. nach § 90 Abs. 1 AO ist nicht erkennbar.

FG Rheinland-Pfolz, Urt. v. 24. 8.2011,2 K 1277/10, rkr.
DStRE 2012, 960-961
 

 

24.09.2012, Dr. Jochen Bachmann

Die Klägerin (Kl.) betreibt im Einzelunternehmen mit Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich einen Friseursalon. Die bei der Kl. für 2005 bis 2007 durchgeführte Außenprüfung bemängelte u. a., dass die Kassenbuchführung durch das Computer-Programm "Lexware" formell nicht ordnungsgemäß sei. Die Kassenbücher seien in Form von Excel-Tabellen geführt worden; es fehlten Kassenberichte. Des Weiteren seien die von der Kl. geführten Terminbücher nicht mehr vorhanden. Die Strukturanalyse mit "Chi-Test" hätte eine Manipulationswahrscheinlichkeit von 100 % ergeben. Die erklärten Umsatzerlöse seien daher um jährlich 3 000 € zu erhöhen. Dem folgte das FA und erließ für die Streitjahre nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AG dementsprechend geänderte Festsetzungen über Einkommensteuer und den Gewerbesteuermessbetrag. Dagegen richtet sich die Klage.

Aus den Gründen:


Die Klage ist begründet.

Die gesetzlichen Grundlagen (§ 162 Abs. 1 und 2 AO) für die erfolgten Zuschätzungen von jeweils 3 000 € lagen nicht vor. Die vom Prüfer gerügten formellen Mängel bei der Kassenführung vermag das Gericht nicht nachzuvollziehen; sachliche Mängel wurden nicht festgestellt. Eine Verletzung der klägerischen Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 1 AO) liegt gleichfalls nicht vor. Vielmehr sind gemäß § 158 AO die Buchführung und die Aufzeichnungen der Kl. der Besteuerung zugrunde zu legen.

Im Gegensatz zur finanzamtlichen Auffassung sind Kassenberichte nicht notwendigerweise auch dann zu erstellen, wenn - wie hier - ein computerunterstütztes Kassenbuch geführt wird, bei dem laufend die Kassenbestände festgehalten und ausgewiesen werden, sofern die Daten nicht nachträglich ohne erkennbaren (Storno-)Vermerk abgeändert werden können und jeder einzelne Umsatz (Einnahmen und Ausgaben) einzeln, chronologisch und untereinander festgehalten wird bzw. - bei lediglich Übernahme der Tageslosung - Uraufzeichnungen (z. B. Kassenstreifen, Kassenzettel u. ä.) vorhanden sind.
Der Hinweis des FA auf das Urteil des FG Münster v. 31. 8. 2000, 14 K 3305/98, BeckRS 2000, 26027597 zur Notwendigkeit zusätzlich auch der Kassenberichte geht fehl. Vielmehr hat das dortige Gericht unter Rz. 112 ausgeführt, dass es bei Bargeldgeschäften mit unbekannten Personen (hier: Eisdiele) ausreiche, wenn die Einnahmen in ein Kassenbuch eingetragen werden und das Zustandekommen dieses Betrages nachvollziehbar ist. Werde keine Registrierkasse eingesetzt, müsse der Betrag durch Kassenberichte ermittelt werden. Im Streitfall hat der Prüfer in seinem Bericht ausgeführt, dass "in einer gesonderten Spalte" des Kassenbuchs Bestände ausgewiesen sind. Somit ist die erforderliche "Kassensturzfähigkeit", d. h. die jederzeitige Abstimmbarkeit des buchmäßig festgehaltenen mit dem tatsächlichen Kassenbestand, gewährleistet. ( ...)

Es gereicht der Kl. auch nicht zum Nachteil, dass die für die Streitjahre geführten Terminbücher nicht mehr vorhanden sind bzw. sein sollen. Denn insoweit besteht keine Aufbewahrungspflicht. Terminbücher zählen nicht zu den in § 147 Abs. 1 AO genannten aufbewahrungspflichtigen Unterlagen. Denn der sachliche Umfang der dort statuierten Aufbewahrungspflicht wird begrenzt durch die Reichweite der zugrunde liegenden Aufzeichnungspflicht (grundlegend: BFHv.
24. 6. 2009, VIII R 80/06, BStBl II 2010, 452, BFHE 225, 302, DStR 2002~ 2006). Hiernach unterliegen der Aufbewahrungspflicht alle Unterlagen und Daten, die zum Verständnis und zur Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen von Bedeutung sind. Nicht dazu gehören Unterlagen und Daten, die nicht aufzeichnungspflichtige Vorgänge betreffen. Dies gilt auch für § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO. Hiernach sind zwar auch "sonstige", also nicht bereits nach Abs. 1 Nr. 1 bis 4a der Vorschrift erfasste " Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind" aufzubewahren. Dies gilt jedoch nur für solche Unterlagen, die zum Verständnis und zur Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sind. Hierunter fallen Terminbücher nicht (Niedersächsisches FG v. 17. 11. 2009, 15 K 12031/08, BeckRS 2011,95083, nachfolgend BFH v. 7. 12. 2010, IIIB 199/09, BFH/NV 2011,411, BeckRS 2011, 94261). Die Terminbücher haben für die Kl. letztlich organisatorische Bedeutung (Kundentermine, Vermeidung von Wartezeiten etc.). Sie können zwar für die Betriebsprüfung zum Abgleich der aufgezeichneten Tageseinnahmen Bedeutung gewinnen. Hier sind die Erlöse jedoch in den computergestützten Kassenbüchern täglich und laufend mit Bestandsausweis verzeichnet worden. Kassenfehlbeträge konnte der Prüfer bei dem bargeldintensiven Betrieb der Kl. nicht feststellen, ebenso wenig wie die Manipulation bzw. Manipulationsmöglichkeiten des verwendeten Software-Programms. Die Beweiskraft der klägerischen Buchführung (§ 158 AO) konnte im Streitfall auch nicht durch einen inneren oder äußeren Betriebsvergleich, eine Nachkalkulation oder eine -hier nicht durchgeführte Geldverkehrsrechnung oder Kassenfehlbetragsberechnung-erschüttert werden.
Zu dem kommt, dass im Streitfall die Reingewinnsätze von 31,44 im Jahr 2005, 38,21 im Jahr 2006 und 21,07 im Jahr 2007 nicht diejenigen der Richtsatzsammlung (21 % für 2005 und jeweils 18 % für 2006 und 2007) unterschreiten, sondern diese-z. T. erheblich-übersteigen.

Die von dem Beklagten (Bekl.) ins Feld geführte "Manipulationswahrscheinlichkeit von 100 %" aufgrund des vom Prüfer durchgeführten "Chi-Quadrat-Tests" kann nicht zur Zuschätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 1 AO führen. Der Test allein ist jedenfalls nicht geeignet, Beweise dafür zu erbringen, dass die Buchführung nicht ordnungsgemäß ist (Niedersächsisches FG v. 17. 11. 2009, 15 K 12031/08, a. a. 0., m. w. N.), abgesehen davon, dass er bei einem Friseursalon, bei dem - wie hier - für die Leistungen ausschließlich volle bzw. halbe Euro-Beträge berechnet werden, ungeeignet erscheint. Denn mit dem Chi-Quadrat-Test werden Verteilungseigenschaften einer statistischen Grundgesamtheit untersucht. Er stellt eine Methode dar, bei der empirisch festgestellte und theoretisch erwartete Häufigkeiten verglichen werden. Er fußt auf dem Grundgedanken, dass derjenige, der bei seinen Einnahmen unzutreffende Werte in das Kassenbuch/die Kassenberichte eingibt, unbewusst eine Vorliebe für bestimmte Lieblingszahlen hat und diese dementsprechend häufiger verwendet. Ausgehend von der Preisliste im Streitfall ergibt sich aber, dass naturgemäß die Zahl 0 wie auch die Zahlen 1, 4, 5 überdimensional häufig auftreten müssen (z. B. Fönfrisur: 15 €; Färben: 25 € bzw. 46,50 €; Fönen: 40,50 €).
Eine vom Bekl., aber selbst vom Prüfer nicht gerügte Verletzung der Mitwirkungspflicht der Kl. nach § 90 Abs. 1 AO ist nicht erkennbar.

FG Rheinland-Pfolz, Urt. v. 24. 8.2011,2 K 1277/10, rkr.
DStRE 2012, 960-961
 

 

24.09.2012, Dr. Jochen Bachmann

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