FG Bremen zur Nachkalkulation von Gaststätten

Das Finanzgericht Bremen hatte über die Rechtmäßigkeit von Änderungsbescheiden zu befinden, die nach der Betriebsprüfung bei einem Gastwirt erlassen wurden.

Grundlage der Änderungsbescheide war eine computergestützte Kalkulation des Finanzamts. Vorausgegangen war bereits ein Streit über die Rechtmäßigkeit einer Erweiterung des Prüfungszeitraums (unsere Meldung vom 03.05.01).

Das Finanzgericht hat die Kalkulation des Finanzamts in vollem Umfang verworfen. Die wesentliche Kritik betrifft die grundsätzliche Vorgehensweise des Finanzamts, das konkrete Einwendungen des Steuerpflichtigen durch den pauschalen Verweis auf branchenspezifische Vergleichswerte beiseite geschoben hat. Deshalb hat das Finanzgericht der Klage wegen unzureichender Berücksichtigung der betriebsindividuellen Verhältnisse stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.

Aus den Gründen:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Umsatzsteuerbescheide und die Einspruchsentscheidung sind ohne Entscheidung in der Sache aufzuheben.

Die weitere Sachaufklärung ist im Streitfall erforderlich, weil noch erhebliche Ermittlungen vom Beklagten anzustellen sind. Der Senat ist nach Überprüfung der Schätzung davon überzeugt, dass der Beklagte den Sachverhalt unter Verletzung der behördlichen Amtsermittlungspflicht gem. § 88 AO unzureichend aufgeklärt hat, so dass es für das Gericht unabweislich ist, nach § 100 Abs. 3 FGO zu verfahren (vgl. Tipke-Kruse, FGO, 16. Auflage Tz. 41).

Es steht nicht in Zweifel, dass der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen der Klägerin schätzen durfte. (Wird ausgeführt) Allerdings war die vom Beklagten vorgenommene Schätzung der Mehrentnahmen in Höhe von rund DM 5,4 Millionen ungenügend.

Steuerschätzungen müssen nach ständiger Rechtsprechung des BFH ”in sich schlüssig sein; ihre Ergebnisse müssen wirtschaftlich vernünftig und möglich sein.” (BFH-Urteil v. 18.12.1984, VIII R 195/82, BStBl. II, 226, BFHE 142, 558; BFH-Beschluss v. 20.10.2000 V B 124/00, BFH/NV 2001, 492). Die Unschärfe, welche jeder Schätzung anhaftet, kann dabei im allgemeinen vernachlässigt werden. Soweit sie sich zu Ungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt, muss er sie hinnehmen, zumal wenn er den Anlass für die Schätzung gegeben hat (BFH-Urteil vom 26.April 1983 VIII R 38/82, BStBl II 1983, 618, BFHE 138, 323).

Der Beklagte hat als Schätzungsmethode die Nachkalkulation gewählt. Die Nachkalkulation ist nach ständiger Rechtsprechung eine geeignete Schätzungsmethode (BFH-Urteile vom 08.09.1994, IV R 6/93; vom 17.11.1981, VIII R 174/77, BFHE 135,11, BStBl. 1982, 430 und vom 25.06.1970 IV 17/65, BFHE 100, 159, BStBl. 1970 II, 838; Urteil des Niedersächsischen FG vom 26.01.1999 XV 118/96; Urteil des FG Bremen vom 07.11.2000 200209K 2). Allerdings hat der Beklagte diese Schätzungsmethode nicht sachgerecht angewendet. Da eine Nachkalkulation selbst eine Schätzung ist, sind an die Nachkalkulation strenge Anforderungen zu stellen (BFH-Urteil in BFHE 100, 159, BStBl. 1970 II, 838). Aus diesem Grunde muss das Finanzamt alle vorhandenen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten zur Feststellung des tatsächlichen Sachverhaltes ausschöpfen (BFH-Urteil vom 20.12.2000, I R 50/00, BStBl. 2001, II, 381 ff, BFHE 194, 1; Stahl, Schätzungen im Steuerrecht: Voraussetzungen – Methoden – Grenzen, KÖSDI 1990, 7917, 7924). Nur wenn insoweit alle zumutbaren Ermittlungsmethoden zur Aufklärung des Sachverhaltes ausgeschöpft sind, darf auf branchenspezifische Vergleichswerte, wie z. B. die amtliche Richtsatzsammlung, zurückgegriffen werden.

Auch bei Anwendung der amtlichen Richtsätze sind die Besonderheiten des einzelnen Steuerfalles zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 20.08.1964, IV 113/60, HFR 1965, 472 ff m. w. N.).

Die Schätzung muss sich innerhalb des durch den konkreten Schätzungsfall vorgegebenen Schätzungsrahmens halten (BFH-Urteil vom 01.10.1992, IV R 34/90, BStBl. 1993, II, 259 ff, BFHE 169, 503) und darf nicht den Charakter einer ”Strafschätzung” erhalten (BFH-Urteil in BFHE 194, 1, BStBl. 2001, II, 381 ff).

Die Nachkalkulation ist eine Verprobungsmethode des inneren Betriebsvergleiches. Mögliche Kalkulationsgrundlage bei einer Nachkalkulation ist der Wareneinsatz. Eine solche Schätzung setzt die Aufteilung des Wareneinsatzes in mehrere unterschiedlich preiskalkulierte Warengruppen voraus. Grundsätzlich müsste der Wareneinsatz in so viele Warengruppen aufgeteilt werden, wie unterschiedliche Aufschlagsätze im Betrieb vorkommen. Eine Zusammenfassung zu Gruppen mit gleichartigen Waren ist jedoch zulässig, wenn in etwa gleich hohe Aufschlagsätze angewandt werden. Die Aufgliederung findet ihre Begrenzung im einzelnen Warenartikel. Der BFH hat im Urteil vom 17.11.1981 VIII R 174/77 für eine Schankwirtschaft eine Aufteilung in 10 Warengruppen ausreichen lassen.

Die Nachkalkulation muss auf die Einkaufspreise des Artikels zurückgehen und kann nicht nach einzelnen Verkaufspreisgruppen unterscheiden. Weiterhin sind Waren, die unentgeltlich an die Kunden / Gäste abgegeben werden oder überwiegend für die Speisezubereitung verwandt werden, wie z. B. Fett und Gewürze, aus der Kalkulation herauszunehmen. Auch sind Abschläge für einen eventuellen Warenverderb oder –schwund zu machen (BFH-Urteil in BStBl. 1982, 430, BFHE 135, 11).

Besonders sorgfältig sind die Aufschlagsätze für die einzelnen Warengruppen zu ermitteln. Besteht die Gruppe aus mehreren Artikeln mit unterschiedlichen, aber beieinander liegenden Aufschlagsätzen, ist anhand des Mengenumsatzes und der einzelnen Aufschlagsätze ein gewogener mittlerer Aufschlagsatz zu bilden. Sofern der Betriebsprüfer nicht auf Angaben des Steuerpflichtigen zurückgreifen kann, muss er die Ermittlung der Aufschlagsätze belegbar festhalten und ggf. offen legen (BFHE 135, 11, BStBl. 1982, 430).

Eine Übernahme von Aufschlagsätzen anderer Betriebe für einige Warengruppe scheidet in der Regel aus, weil deren Anwendung zu einem äußerem Betriebsvergleich führt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Aufschlagsätze nicht voll ausgeschöpft werden. Bei Vorliegen besonderer Umstände – das können festgestellte Buchführungsmängel oder eine Verschleierung der betrieblichen Verhältnisse durch den Steuerpflichtigen sein – können Wahrscheinlichkeitsüberlegungen, für die auch teilweise ein äußerer Betriebsvergleich herangezogen werden kann, genügen und die hohen Anforderungen an die Nachkalkulation relativieren (BFH-Urteil in BFHE 135, 11, BStBl. 1982, 430).

Bei der Schätzung der Einnahmen der Klägerin hätte ausschließlich ein innerer Betriebsvergleich anhand der besonderen Verhältnisse der einzelnen Teilbetriebe der Klägerin erfolgen müssen. Diesen Anforderungen an den inneren Betriebsvergleich wird die vom Beklagten durchgeführte Nachkalkulation nicht gerecht. Die vorgenommene Schätzung des Beklagten ist in sich nicht schlüssig, und ihre Ergebnisse - Mehrentnahmen in Höhe von DM 5,4 Millionen - sind nicht nachvollziehbar.

Nach Auffassung des Gerichtes ist das angewandte Kalkulationsprogramm durchaus geeignet, zu sachgerechten Ergebnissen zu kommen. Das Programm ermöglicht die Eingabe von Warengruppen in ausreichender Anzahl, um den Anforderungen der Nachkalkulation zu genügen. Wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, ist auch die Eingabe individueller Betriebswerte möglich, es besteht also nicht nur die Wahl zwischen mehreren, vom Programm vorgegebenen Alternativen, sondern der jeweilige betriebsindividuelle Wert kann ermittelt und anschließend eingegeben werden.

Allerdings hat der Beklagte weitgehend bei der Berechnung seiner Aufschlagsätze bzw. der dabei berücksichtigten Abschläge nicht die besonderen Verhältnisse in den Betrieben der Klägerin berücksichtigt, sondern sich mit allgemeinen Angaben der Hersteller, Lieferanten oder mit nicht belegten Durchschnittswerten anderer geprüfter Betriebe begnügt und damit gegen das grundsätzliche Erfordernis der Anwendung des inneren Betriebsvergleiches verstoßen. Der Rückgriff auf außerbetriebliche Daten stellt jedoch ein Mittel des äußeren Betriebsvergleiches dar und verlässt den für die Schätzung zulässigen Rahmen des inneren Betriebsvergleiches. Dies ist nur bei Vorliegen besonderer Umstände zulässig.

Derartige Umstände liegen jedoch nicht vor. Zwar sind Buchführungsmängel gegeben, aber der Wareneinsatz, der Grundlage für eine Nachkalkulation ist, ist unstreitig. Die bestehenden Buchführungsmängel wirken sich auf die Nachkalkulation gerade nicht aus.

Für seine von der Klägerin bestrittene in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, die Klägerin habe jede Mitwirkung verweigert, weswegen eine Schätzung unter Zugrundelegung von pauschalen Vergleichswerten gerechtfertigt gewesen wäre, hat der Beklagte keinen Beweis erbracht. Diese pauschale Behauptung reicht nicht aus, um die teilweise Anwendung des äußeren Betriebsvergleiches zu rechtfertigen. …

Statt eines Rückgriffs auf außerbetriebliche Daten hätte der Beklagte den substantiiert vorgetragenen Einwänden der Klägerin hinsichtlich des Verlustes bei Fassbier, des Kaffeeverbrauches, des Mehlverbrauches, des Weinverkaufes sowie des Parierverlustes bei Fleisch- und Fischgerichten spätestens im Einspruchsverfahren nachgehen müssen. Kennzeichen der Nachkalkulation ist die Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des jeweiligen Betriebes. Aus diesem Grunde musste der Beklagte wie bei jeder Schätzung alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Ermittlungen durchführen, um den konkreten betriebsindividuellen Aufschlagsatz der einzelnen Warengruppe zu ermitteln. Da der Wareneinsatz der Klägerin mit Ausnahme des Personalverzehrs und damit weitgehend unstreitig ist, hätte der Beklagte erst alle zumutbaren Ermittlungsmethoden hinsichtlich der von der Klägerin substantiiert vorgetragenen besonderen betrieblichen Verhältnisse ausschöpfen müssen, bevor er zu einem Schätzungsergebnis gelange. Dies ist nicht geschehen. Der Beklagte hat während des gesamten Vorverfahrens und des Rechtsstreites nicht einmal den Betrieb der Klägerin besichtigt. Wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung bestätigte, ist auch das sonst übliche “Probeessen” der Außenprüfer vor dem Beginn der Prüfung bei der Klägerin nicht erfolgt. Es wäre dem Beklagten ohne weiteres zuzumuten gewesen, entweder durch Vernehmung der angebotenen Zeugen oder durch Augenscheinsnahme – die Struktur der Teilbetriebe hatte sich im Prüfungszeitraum im Vergleich zu den Streitjahren nicht wesentlich geändert – zu überprüfen, ob im Betrieb der Klägerin bei der Zubereitung von Espresso und Cappuccino mehr Kaffeepulver verbraucht wird oder aufgrund der Beschaffenheit des verwendeten Portionierungseinsatzes „automatisch“ verbraucht werden kann als von einem Kaffeemaschinenhersteller als durchschnittlich angegeben wird.

Entsprechendes gilt für die Parierverluste bei Fleisch- und Fischgerichten. Der Teilbetrieb ”AP” der Klägerin war unstreitig ein italienisches Restaurant der gehobenen Klasse. Dabei liegt es auf der Hand, dass in derartigen Restaurants größere Parierverluste anfallen als die vom Fleischerverband Niedersachsen-Bremen angegebenen Werte. Jedenfalls hätte der Beklagte durch eine Augenscheinsnahme der Fleischverarbeitung des fraglichen Betriebs oder Befragung des Kochs oder Küchenpersonals in den Streitjahren ohne weiteres ermitteln können, ob der von der Klägerin behauptete Verlust tatsächlich entsteht.

Vergleichbares gilt für die Nachkalkulation der Pizzagerichte. Die Richtigkeit der Auffassung des Beklagten, auch in einem italienischen Restaurant der gehobenen Klasse würden Pizzagerichte von den dort speisenden Gästen verzehrt, unterstellt, hätte der Beklagte im Rahmen seiner Amtsermittlungspflichten klären müssen, ob und in welchem Umfang das für das Restaurant “D. C” und “P” gilt. Die Klägerin hat vorgetragen, 1995 in Eigenproduktion Brot hergestellt und später dann fertiges Brot eingekauft zu haben. Der Beklagte hätte durch einen Vergleich der Mehlmengen der Jahre der Eigenherstellung und des Zukaufes des Brotes ohne weiteres den Mehlverbrauch genauerer ermitteln können, als durch die vorgenommene Nachkalkulation. Von dieser Mehlmenge hätte zwar noch das Streumehl abgerechnet werden müssen, um den tatsächlichen Wareneinsatz für die Pizzagerichte annähernd ermitteln zu können. Aber dies hätte durch eine Augenscheinsnahme im Betrieb der Klägerin oder Befragung des in den Streitjahren beschäftigen Küchenpersonals oder notfalls ebenfalls durch Schätzung geschehen können. Die Richtigkeit dieses Einwands der Klägerin hätte der Beklagte anhand der Einkaufsrechnungen für Brot für 1995 und die Folgejahre überprüfen können.

Dem Vortrag der Klägerin über den Außer-Haus-Verkauf hätte der Beklagte genauer nachgehen müssen, bevor er unter Hinweis auf die Tatsache, dass in der Speisekarte auch Pizzagerichte aufgeführt seien, die Anzahl der veräußerten Pizzen ohne nähere Anhaltspunkte schätzte. Die Annahme des Beklagten, bei Fassbier könne es nicht zu einem außerordentlichen Verlust aufgrund Verderbs gekommen sein, ist für das Gericht nicht plausibel.

Der Vortrag der Klägerin, der Verderb wäre darin begründet gewesen, dass wenig Fassbier nachgefragt worden sei und deswegen das sich in den Leitungen der Zapfanlage befindende Bier regelmäßig hätte nicht ausgeschenkt werden können, wenn der Zeitraum zwischen den einzelnen Zapfvorgängen zu lang gewesen und nach Ablauf der Verfallzeit das Bier häufig noch nicht ausgeschenkt gewesen sei, ist substantiiert genug, um diesem genauer nachgehen zu müssen. Der pauschale Verweis auf die durchschnittliche Haltbarkeit in Abhängigkeit von der Lagertemperatur und –dauer genügt nicht, um den Vortrag der Klägerin zu übergehen.

Weiterhin hat unstreitig Personalverzehr in den Streitjahren stattgefunden. Dieser hätte berücksichtigt werden müssen. Das Fehlen von Aufzeichnungen hätte durch entsprechende andere Beweismittel - notfalls auch durch eine Schätzung - ausgeglichen werden müssen, die dem Beklagten möglich und zumutbar waren.

Schließlich verkennt der Beklagte bei seiner Vorgehensweise die Feststellungslast. Der Beklagte sieht die Feststellungslast für einen von ihm als atypisch bezeichneten Lebensvorgang bei der Klägerin. Dies ist nicht der Fall. Bei der Nachkalkulation sind, wie oben schon dargelegt, die besonderen Verhältnisse des Betriebes zu berücksichtigen. Grundsätzlich hat der Beklagte, soweit es ihm möglich und zumutbar ist, dabei alle erforderlichen Ermittlungen zur Feststellung dieser Verhältnisse durchzuführen. Eine Entscheidung nach der Feststellungslast kann im Verwaltungsverfahren der Finanzbehörden erst ergehen, wenn der fragliche Sachverhalt nicht mit hinreichender Sicherheit ermittelt werden kann (Klein, Abgabenordnung – Kommentar, 7. Auflage 2000, § 88 Rdnr. 15). Die Klägerin trifft also nur die Feststellungslast, wenn sie einen Sachverhalt vorträgt, den der Beklagte nicht mit ihm ohne weiteres möglichen und zumutbaren Ermittlungen überprüfen kann. Dies ist nicht bereits der Fall, wenn die konkreten betrieblichen Verhältnisse von den vermeintlichen Durchschnitts- oder Erfahrungswerten abweichen. Die Klägerin hat ausreichend Sachverhalt vorgetragen, mit dessen Überprüfung der fragliche Sachverhalt mit hinreichender Sicherheit hätte ermittelt werden können. Erst wenn dies nicht gelungen wäre, hätte sich die Frage der Feststellungslast gestellt. Der Beklage hat aber keine – ihm zumutbare und mögliche - Versuche unternommen, den Sachverhalt zu ermitteln. Die Frage der Feststellungslast stellt sich deswegen nicht. In diesem Zusammenhang stützt sich der Beklagte zu unrecht auf das Urteil des Niedersächsischen FG vom 26.01.1999, XV 118/96. Die Entscheidung des Niedersächsischen FG erging zu einer ungeklärten Beweissituation, die der vorliegenden Beweissituation nicht vergleichbar ist. Das Niedersächsische FG musste über die Behauptung eines atypischen Lebenssachverhaltes entscheiden, für den kein Beweis angeboten worden war. Für eine solche Beweissituation stimmt das Gericht mit dem Niedersächsischen FG darin überein, dass den Kläger die Feststellungslast für einen atypischen Lebenssachverhalt trifft. Im Rechtsstreit des Niedersächsischen FG ging es u. a. um die Behauptung des Klägers, er habe in seiner Schankwirtschaft Bier regelmäßig zu einem unter dem in der Getränkekarte angegebenen Preis ausgeschenkt. Diese Behauptung, für die der Kläger keinen Beweis angeboten hatte, hat das Niedersächsische FG zu Recht als atypischen Lebenssachverhalt bezeichnet und den Kläger mangels eines konkreten Beweisangebotes für diese Behauptung als feststellungsbelastet angesehen. Zu dieser Annahme kam es aber erst, nachdem der vor dem Niedersächsischen GF verklagte Beklagte den vom Kläger vorgetragenen betriebsindividuellen Verhältnissen in seinem Betrieb nachgegangen war und diese dann anschließend ausreichend berücksichtigt hatte. Eine weitere Sachaufklärung war in diesem Fall nicht mehr möglich. Die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit hat für ihre vom Beklagten als atypisch bezeichneten Lebenssachverhalte umfangreich Beweis angeboten. Diesen Angeboten ist der Beklagte aber nicht nachgegangen. Die Frage der Beweislast stellt sich deswegen, wie oben schon erläutert, nicht. Es liegt vielmehr eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes seitens des Beklagten vor.

Der Hinweis des Beklagten, das gewonnene Ergebnis halte sich im Rahmen der amtlichen Richtsatzsammlung für Pizzerien, kann die aufgezeigten Mängel der vorgenommenen Schätzung nicht heilen. Zunächst ist bereits fraglich, ob die Richtsätze für Pizzarien auf das “AP” als gehobenes italienisches Restaurant Anwendung finden können. Dies kann aber dahin stehen, denn der Beklagte hat die Besonderheiten des Betriebes der Klägerin nicht, wie es erforderlich gewesen wäre, beachtet, als er die substantiierten Einwände der Klägerin ohne Prüfung mit pauschalen Verweisen überging.

Darüber hinaus darf die amtliche Richtsatzsammlung bei einer Nachkalkulation erst gewählt werden, wenn keine andere Aufklärung möglich ist, was vorliegend nicht der Fall ist. Die geschilderten Aufklärungsmängel machen das Schätzungsergebnis in sich unschlüssig und lassen es deshalb wirtschaftlich nicht vernünftig und möglich erscheinen. Die Mängel der Schätzung beruhen nicht auf dem angewandten Kalkulationsprogramm, sondern auf der (mangelnden) Validität der eingegebenen Berechnungsgrundlagen. Wenn der Beklagte den inneren Betriebsvergleich als Schätzungsmethode wählt, muss er auch die mit dieser Methode verbundene Sachverhaltsermittlung vornehmen. Dies mag beim inneren Betriebsvergleich zeitaufwendig sein, ist aber eine Folge der gewählten Schätzungsmethode. Wie sich schon aus den vorstehend dargelegten Schätzungsmängeln ergibt, sind für die weitere Sachaufklärung noch erhebliche Ermittlungen erforderlich. Darin liegen erkennbar Umstände, die die Beweisaufnahme durch das Gericht erschweren (vgl. BFH-Urteil vom 31.03.1998 IX R 37/96, BFH/NV 1998, 1240). Denn sämtlichen Einwänden der Klägerin bezüglich ihrer betrieblichen Verhältnisse muss zur Ermittlung der konkreten Schätzungsgrundlagen nachgegangen werden. Dabei waren und sind – soweit noch möglich – Feststellungen z.B. über Parierverluste und Angebote von Gratisgetränken durch Beobachtungen „vor Ort“ über eine gewisse Zeit erforderlich, die dem Gericht nicht – jedenfalls nicht mit gleicher Effektivität – möglich sind wie der Außenprüfung des Beklagten. Das bedeutet schließlich die Durchführung einer neuen Nachkalkulation mit geänderten Einsatzwerten. Diese kann der Beklagte mit seinem grundsätzlich geeigneten Kalkulationsprogramm wesentlich schneller und mit erheblich geringerem Aufwand als das Gericht durchführen. Hinzu kommt, dass auch sämtliche Feststellungen im Betrieb der Klägerin während des gewöhnlichen Restaurantbetriebes zu treffen sind und dies über einen längeren Zeitraum zu geschehen hat. Deshalb ist der Senat im Streitfall nicht gehalten, von seiner eigenen Schätzungsbefugnis nach § 96 Abs. 1 2. Halbsatz FGO i.V.m. § 162 AO Gebrauch zu machen.

FG Bremen, Urteil vom 22.06.2002, 1 K 31/02 bis 1 K 39/02
– bisher nicht veröffentlicht –

 

05.09.2002, Dr. Bachmann

Das Finanzgericht Bremen hatte über die Rechtmäßigkeit von Änderungsbescheiden zu befinden, die nach der Betriebsprüfung bei einem Gastwirt erlassen wurden.

Grundlage der Änderungsbescheide war eine computergestützte Kalkulation des Finanzamts. Vorausgegangen war bereits ein Streit über die Rechtmäßigkeit einer Erweiterung des Prüfungszeitraums (unsere Meldung vom 03.05.01).

Das Finanzgericht hat die Kalkulation des Finanzamts in vollem Umfang verworfen. Die wesentliche Kritik betrifft die grundsätzliche Vorgehensweise des Finanzamts, das konkrete Einwendungen des Steuerpflichtigen durch den pauschalen Verweis auf branchenspezifische Vergleichswerte beiseite geschoben hat. Deshalb hat das Finanzgericht der Klage wegen unzureichender Berücksichtigung der betriebsindividuellen Verhältnisse stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.

Aus den Gründen:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Umsatzsteuerbescheide und die Einspruchsentscheidung sind ohne Entscheidung in der Sache aufzuheben.

Die weitere Sachaufklärung ist im Streitfall erforderlich, weil noch erhebliche Ermittlungen vom Beklagten anzustellen sind. Der Senat ist nach Überprüfung der Schätzung davon überzeugt, dass der Beklagte den Sachverhalt unter Verletzung der behördlichen Amtsermittlungspflicht gem. § 88 AO unzureichend aufgeklärt hat, so dass es für das Gericht unabweislich ist, nach § 100 Abs. 3 FGO zu verfahren (vgl. Tipke-Kruse, FGO, 16. Auflage Tz. 41).

Es steht nicht in Zweifel, dass der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen der Klägerin schätzen durfte. (Wird ausgeführt) Allerdings war die vom Beklagten vorgenommene Schätzung der Mehrentnahmen in Höhe von rund DM 5,4 Millionen ungenügend.

Steuerschätzungen müssen nach ständiger Rechtsprechung des BFH ”in sich schlüssig sein; ihre Ergebnisse müssen wirtschaftlich vernünftig und möglich sein.” (BFH-Urteil v. 18.12.1984, VIII R 195/82, BStBl. II, 226, BFHE 142, 558; BFH-Beschluss v. 20.10.2000 V B 124/00, BFH/NV 2001, 492). Die Unschärfe, welche jeder Schätzung anhaftet, kann dabei im allgemeinen vernachlässigt werden. Soweit sie sich zu Ungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt, muss er sie hinnehmen, zumal wenn er den Anlass für die Schätzung gegeben hat (BFH-Urteil vom 26.April 1983 VIII R 38/82, BStBl II 1983, 618, BFHE 138, 323).

Der Beklagte hat als Schätzungsmethode die Nachkalkulation gewählt. Die Nachkalkulation ist nach ständiger Rechtsprechung eine geeignete Schätzungsmethode (BFH-Urteile vom 08.09.1994, IV R 6/93; vom 17.11.1981, VIII R 174/77, BFHE 135,11, BStBl. 1982, 430 und vom 25.06.1970 IV 17/65, BFHE 100, 159, BStBl. 1970 II, 838; Urteil des Niedersächsischen FG vom 26.01.1999 XV 118/96; Urteil des FG Bremen vom 07.11.2000 200209K 2). Allerdings hat der Beklagte diese Schätzungsmethode nicht sachgerecht angewendet. Da eine Nachkalkulation selbst eine Schätzung ist, sind an die Nachkalkulation strenge Anforderungen zu stellen (BFH-Urteil in BFHE 100, 159, BStBl. 1970 II, 838). Aus diesem Grunde muss das Finanzamt alle vorhandenen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten zur Feststellung des tatsächlichen Sachverhaltes ausschöpfen (BFH-Urteil vom 20.12.2000, I R 50/00, BStBl. 2001, II, 381 ff, BFHE 194, 1; Stahl, Schätzungen im Steuerrecht: Voraussetzungen – Methoden – Grenzen, KÖSDI 1990, 7917, 7924). Nur wenn insoweit alle zumutbaren Ermittlungsmethoden zur Aufklärung des Sachverhaltes ausgeschöpft sind, darf auf branchenspezifische Vergleichswerte, wie z. B. die amtliche Richtsatzsammlung, zurückgegriffen werden.

Auch bei Anwendung der amtlichen Richtsätze sind die Besonderheiten des einzelnen Steuerfalles zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 20.08.1964, IV 113/60, HFR 1965, 472 ff m. w. N.).

Die Schätzung muss sich innerhalb des durch den konkreten Schätzungsfall vorgegebenen Schätzungsrahmens halten (BFH-Urteil vom 01.10.1992, IV R 34/90, BStBl. 1993, II, 259 ff, BFHE 169, 503) und darf nicht den Charakter einer ”Strafschätzung” erhalten (BFH-Urteil in BFHE 194, 1, BStBl. 2001, II, 381 ff).

Die Nachkalkulation ist eine Verprobungsmethode des inneren Betriebsvergleiches. Mögliche Kalkulationsgrundlage bei einer Nachkalkulation ist der Wareneinsatz. Eine solche Schätzung setzt die Aufteilung des Wareneinsatzes in mehrere unterschiedlich preiskalkulierte Warengruppen voraus. Grundsätzlich müsste der Wareneinsatz in so viele Warengruppen aufgeteilt werden, wie unterschiedliche Aufschlagsätze im Betrieb vorkommen. Eine Zusammenfassung zu Gruppen mit gleichartigen Waren ist jedoch zulässig, wenn in etwa gleich hohe Aufschlagsätze angewandt werden. Die Aufgliederung findet ihre Begrenzung im einzelnen Warenartikel. Der BFH hat im Urteil vom 17.11.1981 VIII R 174/77 für eine Schankwirtschaft eine Aufteilung in 10 Warengruppen ausreichen lassen.

Die Nachkalkulation muss auf die Einkaufspreise des Artikels zurückgehen und kann nicht nach einzelnen Verkaufspreisgruppen unterscheiden. Weiterhin sind Waren, die unentgeltlich an die Kunden / Gäste abgegeben werden oder überwiegend für die Speisezubereitung verwandt werden, wie z. B. Fett und Gewürze, aus der Kalkulation herauszunehmen. Auch sind Abschläge für einen eventuellen Warenverderb oder –schwund zu machen (BFH-Urteil in BStBl. 1982, 430, BFHE 135, 11).

Besonders sorgfältig sind die Aufschlagsätze für die einzelnen Warengruppen zu ermitteln. Besteht die Gruppe aus mehreren Artikeln mit unterschiedlichen, aber beieinander liegenden Aufschlagsätzen, ist anhand des Mengenumsatzes und der einzelnen Aufschlagsätze ein gewogener mittlerer Aufschlagsatz zu bilden. Sofern der Betriebsprüfer nicht auf Angaben des Steuerpflichtigen zurückgreifen kann, muss er die Ermittlung der Aufschlagsätze belegbar festhalten und ggf. offen legen (BFHE 135, 11, BStBl. 1982, 430).

Eine Übernahme von Aufschlagsätzen anderer Betriebe für einige Warengruppe scheidet in der Regel aus, weil deren Anwendung zu einem äußerem Betriebsvergleich führt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Aufschlagsätze nicht voll ausgeschöpft werden. Bei Vorliegen besonderer Umstände – das können festgestellte Buchführungsmängel oder eine Verschleierung der betrieblichen Verhältnisse durch den Steuerpflichtigen sein – können Wahrscheinlichkeitsüberlegungen, für die auch teilweise ein äußerer Betriebsvergleich herangezogen werden kann, genügen und die hohen Anforderungen an die Nachkalkulation relativieren (BFH-Urteil in BFHE 135, 11, BStBl. 1982, 430).

Bei der Schätzung der Einnahmen der Klägerin hätte ausschließlich ein innerer Betriebsvergleich anhand der besonderen Verhältnisse der einzelnen Teilbetriebe der Klägerin erfolgen müssen. Diesen Anforderungen an den inneren Betriebsvergleich wird die vom Beklagten durchgeführte Nachkalkulation nicht gerecht. Die vorgenommene Schätzung des Beklagten ist in sich nicht schlüssig, und ihre Ergebnisse - Mehrentnahmen in Höhe von DM 5,4 Millionen - sind nicht nachvollziehbar.

Nach Auffassung des Gerichtes ist das angewandte Kalkulationsprogramm durchaus geeignet, zu sachgerechten Ergebnissen zu kommen. Das Programm ermöglicht die Eingabe von Warengruppen in ausreichender Anzahl, um den Anforderungen der Nachkalkulation zu genügen. Wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, ist auch die Eingabe individueller Betriebswerte möglich, es besteht also nicht nur die Wahl zwischen mehreren, vom Programm vorgegebenen Alternativen, sondern der jeweilige betriebsindividuelle Wert kann ermittelt und anschließend eingegeben werden.

Allerdings hat der Beklagte weitgehend bei der Berechnung seiner Aufschlagsätze bzw. der dabei berücksichtigten Abschläge nicht die besonderen Verhältnisse in den Betrieben der Klägerin berücksichtigt, sondern sich mit allgemeinen Angaben der Hersteller, Lieferanten oder mit nicht belegten Durchschnittswerten anderer geprüfter Betriebe begnügt und damit gegen das grundsätzliche Erfordernis der Anwendung des inneren Betriebsvergleiches verstoßen. Der Rückgriff auf außerbetriebliche Daten stellt jedoch ein Mittel des äußeren Betriebsvergleiches dar und verlässt den für die Schätzung zulässigen Rahmen des inneren Betriebsvergleiches. Dies ist nur bei Vorliegen besonderer Umstände zulässig.

Derartige Umstände liegen jedoch nicht vor. Zwar sind Buchführungsmängel gegeben, aber der Wareneinsatz, der Grundlage für eine Nachkalkulation ist, ist unstreitig. Die bestehenden Buchführungsmängel wirken sich auf die Nachkalkulation gerade nicht aus.

Für seine von der Klägerin bestrittene in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, die Klägerin habe jede Mitwirkung verweigert, weswegen eine Schätzung unter Zugrundelegung von pauschalen Vergleichswerten gerechtfertigt gewesen wäre, hat der Beklagte keinen Beweis erbracht. Diese pauschale Behauptung reicht nicht aus, um die teilweise Anwendung des äußeren Betriebsvergleiches zu rechtfertigen. …

Statt eines Rückgriffs auf außerbetriebliche Daten hätte der Beklagte den substantiiert vorgetragenen Einwänden der Klägerin hinsichtlich des Verlustes bei Fassbier, des Kaffeeverbrauches, des Mehlverbrauches, des Weinverkaufes sowie des Parierverlustes bei Fleisch- und Fischgerichten spätestens im Einspruchsverfahren nachgehen müssen. Kennzeichen der Nachkalkulation ist die Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des jeweiligen Betriebes. Aus diesem Grunde musste der Beklagte wie bei jeder Schätzung alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Ermittlungen durchführen, um den konkreten betriebsindividuellen Aufschlagsatz der einzelnen Warengruppe zu ermitteln. Da der Wareneinsatz der Klägerin mit Ausnahme des Personalverzehrs und damit weitgehend unstreitig ist, hätte der Beklagte erst alle zumutbaren Ermittlungsmethoden hinsichtlich der von der Klägerin substantiiert vorgetragenen besonderen betrieblichen Verhältnisse ausschöpfen müssen, bevor er zu einem Schätzungsergebnis gelange. Dies ist nicht geschehen. Der Beklagte hat während des gesamten Vorverfahrens und des Rechtsstreites nicht einmal den Betrieb der Klägerin besichtigt. Wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung bestätigte, ist auch das sonst übliche “Probeessen” der Außenprüfer vor dem Beginn der Prüfung bei der Klägerin nicht erfolgt. Es wäre dem Beklagten ohne weiteres zuzumuten gewesen, entweder durch Vernehmung der angebotenen Zeugen oder durch Augenscheinsnahme – die Struktur der Teilbetriebe hatte sich im Prüfungszeitraum im Vergleich zu den Streitjahren nicht wesentlich geändert – zu überprüfen, ob im Betrieb der Klägerin bei der Zubereitung von Espresso und Cappuccino mehr Kaffeepulver verbraucht wird oder aufgrund der Beschaffenheit des verwendeten Portionierungseinsatzes „automatisch“ verbraucht werden kann als von einem Kaffeemaschinenhersteller als durchschnittlich angegeben wird.

Entsprechendes gilt für die Parierverluste bei Fleisch- und Fischgerichten. Der Teilbetrieb ”AP” der Klägerin war unstreitig ein italienisches Restaurant der gehobenen Klasse. Dabei liegt es auf der Hand, dass in derartigen Restaurants größere Parierverluste anfallen als die vom Fleischerverband Niedersachsen-Bremen angegebenen Werte. Jedenfalls hätte der Beklagte durch eine Augenscheinsnahme der Fleischverarbeitung des fraglichen Betriebs oder Befragung des Kochs oder Küchenpersonals in den Streitjahren ohne weiteres ermitteln können, ob der von der Klägerin behauptete Verlust tatsächlich entsteht.

Vergleichbares gilt für die Nachkalkulation der Pizzagerichte. Die Richtigkeit der Auffassung des Beklagten, auch in einem italienischen Restaurant der gehobenen Klasse würden Pizzagerichte von den dort speisenden Gästen verzehrt, unterstellt, hätte der Beklagte im Rahmen seiner Amtsermittlungspflichten klären müssen, ob und in welchem Umfang das für das Restaurant “D. C” und “P” gilt. Die Klägerin hat vorgetragen, 1995 in Eigenproduktion Brot hergestellt und später dann fertiges Brot eingekauft zu haben. Der Beklagte hätte durch einen Vergleich der Mehlmengen der Jahre der Eigenherstellung und des Zukaufes des Brotes ohne weiteres den Mehlverbrauch genauerer ermitteln können, als durch die vorgenommene Nachkalkulation. Von dieser Mehlmenge hätte zwar noch das Streumehl abgerechnet werden müssen, um den tatsächlichen Wareneinsatz für die Pizzagerichte annähernd ermitteln zu können. Aber dies hätte durch eine Augenscheinsnahme im Betrieb der Klägerin oder Befragung des in den Streitjahren beschäftigen Küchenpersonals oder notfalls ebenfalls durch Schätzung geschehen können. Die Richtigkeit dieses Einwands der Klägerin hätte der Beklagte anhand der Einkaufsrechnungen für Brot für 1995 und die Folgejahre überprüfen können.

Dem Vortrag der Klägerin über den Außer-Haus-Verkauf hätte der Beklagte genauer nachgehen müssen, bevor er unter Hinweis auf die Tatsache, dass in der Speisekarte auch Pizzagerichte aufgeführt seien, die Anzahl der veräußerten Pizzen ohne nähere Anhaltspunkte schätzte. Die Annahme des Beklagten, bei Fassbier könne es nicht zu einem außerordentlichen Verlust aufgrund Verderbs gekommen sein, ist für das Gericht nicht plausibel.

Der Vortrag der Klägerin, der Verderb wäre darin begründet gewesen, dass wenig Fassbier nachgefragt worden sei und deswegen das sich in den Leitungen der Zapfanlage befindende Bier regelmäßig hätte nicht ausgeschenkt werden können, wenn der Zeitraum zwischen den einzelnen Zapfvorgängen zu lang gewesen und nach Ablauf der Verfallzeit das Bier häufig noch nicht ausgeschenkt gewesen sei, ist substantiiert genug, um diesem genauer nachgehen zu müssen. Der pauschale Verweis auf die durchschnittliche Haltbarkeit in Abhängigkeit von der Lagertemperatur und –dauer genügt nicht, um den Vortrag der Klägerin zu übergehen.

Weiterhin hat unstreitig Personalverzehr in den Streitjahren stattgefunden. Dieser hätte berücksichtigt werden müssen. Das Fehlen von Aufzeichnungen hätte durch entsprechende andere Beweismittel - notfalls auch durch eine Schätzung - ausgeglichen werden müssen, die dem Beklagten möglich und zumutbar waren.

Schließlich verkennt der Beklagte bei seiner Vorgehensweise die Feststellungslast. Der Beklagte sieht die Feststellungslast für einen von ihm als atypisch bezeichneten Lebensvorgang bei der Klägerin. Dies ist nicht der Fall. Bei der Nachkalkulation sind, wie oben schon dargelegt, die besonderen Verhältnisse des Betriebes zu berücksichtigen. Grundsätzlich hat der Beklagte, soweit es ihm möglich und zumutbar ist, dabei alle erforderlichen Ermittlungen zur Feststellung dieser Verhältnisse durchzuführen. Eine Entscheidung nach der Feststellungslast kann im Verwaltungsverfahren der Finanzbehörden erst ergehen, wenn der fragliche Sachverhalt nicht mit hinreichender Sicherheit ermittelt werden kann (Klein, Abgabenordnung – Kommentar, 7. Auflage 2000, § 88 Rdnr. 15). Die Klägerin trifft also nur die Feststellungslast, wenn sie einen Sachverhalt vorträgt, den der Beklagte nicht mit ihm ohne weiteres möglichen und zumutbaren Ermittlungen überprüfen kann. Dies ist nicht bereits der Fall, wenn die konkreten betrieblichen Verhältnisse von den vermeintlichen Durchschnitts- oder Erfahrungswerten abweichen. Die Klägerin hat ausreichend Sachverhalt vorgetragen, mit dessen Überprüfung der fragliche Sachverhalt mit hinreichender Sicherheit hätte ermittelt werden können. Erst wenn dies nicht gelungen wäre, hätte sich die Frage der Feststellungslast gestellt. Der Beklage hat aber keine – ihm zumutbare und mögliche - Versuche unternommen, den Sachverhalt zu ermitteln. Die Frage der Feststellungslast stellt sich deswegen nicht. In diesem Zusammenhang stützt sich der Beklagte zu unrecht auf das Urteil des Niedersächsischen FG vom 26.01.1999, XV 118/96. Die Entscheidung des Niedersächsischen FG erging zu einer ungeklärten Beweissituation, die der vorliegenden Beweissituation nicht vergleichbar ist. Das Niedersächsische FG musste über die Behauptung eines atypischen Lebenssachverhaltes entscheiden, für den kein Beweis angeboten worden war. Für eine solche Beweissituation stimmt das Gericht mit dem Niedersächsischen FG darin überein, dass den Kläger die Feststellungslast für einen atypischen Lebenssachverhalt trifft. Im Rechtsstreit des Niedersächsischen FG ging es u. a. um die Behauptung des Klägers, er habe in seiner Schankwirtschaft Bier regelmäßig zu einem unter dem in der Getränkekarte angegebenen Preis ausgeschenkt. Diese Behauptung, für die der Kläger keinen Beweis angeboten hatte, hat das Niedersächsische FG zu Recht als atypischen Lebenssachverhalt bezeichnet und den Kläger mangels eines konkreten Beweisangebotes für diese Behauptung als feststellungsbelastet angesehen. Zu dieser Annahme kam es aber erst, nachdem der vor dem Niedersächsischen GF verklagte Beklagte den vom Kläger vorgetragenen betriebsindividuellen Verhältnissen in seinem Betrieb nachgegangen war und diese dann anschließend ausreichend berücksichtigt hatte. Eine weitere Sachaufklärung war in diesem Fall nicht mehr möglich. Die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit hat für ihre vom Beklagten als atypisch bezeichneten Lebenssachverhalte umfangreich Beweis angeboten. Diesen Angeboten ist der Beklagte aber nicht nachgegangen. Die Frage der Beweislast stellt sich deswegen, wie oben schon erläutert, nicht. Es liegt vielmehr eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes seitens des Beklagten vor.

Der Hinweis des Beklagten, das gewonnene Ergebnis halte sich im Rahmen der amtlichen Richtsatzsammlung für Pizzerien, kann die aufgezeigten Mängel der vorgenommenen Schätzung nicht heilen. Zunächst ist bereits fraglich, ob die Richtsätze für Pizzarien auf das “AP” als gehobenes italienisches Restaurant Anwendung finden können. Dies kann aber dahin stehen, denn der Beklagte hat die Besonderheiten des Betriebes der Klägerin nicht, wie es erforderlich gewesen wäre, beachtet, als er die substantiierten Einwände der Klägerin ohne Prüfung mit pauschalen Verweisen überging.

Darüber hinaus darf die amtliche Richtsatzsammlung bei einer Nachkalkulation erst gewählt werden, wenn keine andere Aufklärung möglich ist, was vorliegend nicht der Fall ist. Die geschilderten Aufklärungsmängel machen das Schätzungsergebnis in sich unschlüssig und lassen es deshalb wirtschaftlich nicht vernünftig und möglich erscheinen. Die Mängel der Schätzung beruhen nicht auf dem angewandten Kalkulationsprogramm, sondern auf der (mangelnden) Validität der eingegebenen Berechnungsgrundlagen. Wenn der Beklagte den inneren Betriebsvergleich als Schätzungsmethode wählt, muss er auch die mit dieser Methode verbundene Sachverhaltsermittlung vornehmen. Dies mag beim inneren Betriebsvergleich zeitaufwendig sein, ist aber eine Folge der gewählten Schätzungsmethode. Wie sich schon aus den vorstehend dargelegten Schätzungsmängeln ergibt, sind für die weitere Sachaufklärung noch erhebliche Ermittlungen erforderlich. Darin liegen erkennbar Umstände, die die Beweisaufnahme durch das Gericht erschweren (vgl. BFH-Urteil vom 31.03.1998 IX R 37/96, BFH/NV 1998, 1240). Denn sämtlichen Einwänden der Klägerin bezüglich ihrer betrieblichen Verhältnisse muss zur Ermittlung der konkreten Schätzungsgrundlagen nachgegangen werden. Dabei waren und sind – soweit noch möglich – Feststellungen z.B. über Parierverluste und Angebote von Gratisgetränken durch Beobachtungen „vor Ort“ über eine gewisse Zeit erforderlich, die dem Gericht nicht – jedenfalls nicht mit gleicher Effektivität – möglich sind wie der Außenprüfung des Beklagten. Das bedeutet schließlich die Durchführung einer neuen Nachkalkulation mit geänderten Einsatzwerten. Diese kann der Beklagte mit seinem grundsätzlich geeigneten Kalkulationsprogramm wesentlich schneller und mit erheblich geringerem Aufwand als das Gericht durchführen. Hinzu kommt, dass auch sämtliche Feststellungen im Betrieb der Klägerin während des gewöhnlichen Restaurantbetriebes zu treffen sind und dies über einen längeren Zeitraum zu geschehen hat. Deshalb ist der Senat im Streitfall nicht gehalten, von seiner eigenen Schätzungsbefugnis nach § 96 Abs. 1 2. Halbsatz FGO i.V.m. § 162 AO Gebrauch zu machen.

FG Bremen, Urteil vom 22.06.2002, 1 K 31/02 bis 1 K 39/02
– bisher nicht veröffentlicht –

 

05.09.2002, Dr. Bachmann

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