EuGH zum Umsatzsteuersatz beim Verzehr von Speisen und Getränken an Imbissständen, im Kino und vom Partyservice

Der EuGH korrigiert die deutsche Handhabung der Umsatzbesteuerung bei der Abgabe von Speisen und Getränken. Solange die Lieferung der Speisen und Getränke im Vordergrund steht, ist der ermäßigte Steuersatz anzuwenden. Das ist beim Verzehr am Imbissstand und im Kino regelmäßig der Fall.

Die Leitsätze lauten:

1. Die Art. 5 und 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuer-pflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 92/111/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass
– die Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Nahrungsmittel zum sofor-tigen Verzehr an Imbissständen oder -wagen oder in Kino-Foyers eine Lieferung von Gegenständen im Sinne des genannten Art. 5 ist, wenn eine qualitative Prüfung des gesamten Umsatzes ergibt, dass die Dienst-leistungselemente, die der Lieferung der Nahrungsmittel voraus und mit ihr einhergehen, nicht überwiegen;
– die Tätigkeiten eines Partyservice außer in den Fällen, in denen dieser lediglich Standardspeisen ohne zusätzliches Dienstleistungselement lie-fert oder in denen weitere, besondere Umstände belegen, dass die Lie-ferung der Speisen der dominierende Bestandteil des Umsatzes ist, Dienstleistungen im Sinne des genannten Art. 6 darstellen.
2. Bei Lieferung von Gegenständen ist der Begriff „Nahrungsmittel“ in Anhang H Kategorie 1 der durch die Richtlinie 92/111 geänderten Sechsten Richtlinie 77/388 dahin auszulegen, dass er auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Ver-zehr zubereitet worden sind.

Aus den Gründen:

Im vorliegenden Fall betreffen die in den Ausgangsverfahren in den Rechtssachen C 497/09 und C 501/09 fraglichen Tätigkeiten nach den Angaben des vorlegenden Gerichts den Verkauf von Würsten, Pommes frites und anderen Nahrungsmitteln an Imbisswagen oder ständen zum sofortigen warmen Verzehr.
67 Dazu ist zunächst festzustellen, dass die Abgabe solcher Waren ihr Kochen, Backen, Braten oder Aufwärmen voraussetzt, was eine Dienstleistung darstellt, die im Rahmen der Gesamt-beurteilung des fraglichen Umsatzes zum Zweck seiner Einstufung als Lieferung von Gegens-tänden oder als Dienstleistung zu berücksichtigen ist.
68 Da sich jedoch die Zubereitung des warmen Endprodukts im Wesentlichen auf einfache, standardisierte Handlungen beschränkt, die in den meisten Fällen nicht auf Bestellung eines bestimmten Kunden, sondern entsprechend der allgemein vorhersehbaren Nachfrage ständig oder in Abständen vorgenommen werden, stellt diese Zubereitung nicht den überwiegenden Bestandteil des fraglichen Umsatzes dar und kann allein diesem nicht den Charakter einer Dienstleistung verleihen.
69 Was die charakteristischen Dienstleistungsbestandteile der Restaurationsumsätze angeht, wie sie sich aus der in den Randnrn. 63 bis 65 des vorliegenden Urteils angeführten Recht-sprechung ergeben, so gibt es im Rahmen der in den Ausgangsverfahren in den Rechtssa-chen C 497/09 und C 501/09 in Rede stehenden Tätigkeiten keinen Kellnerservice, keine echte Beratung der Kunden und keine Bedienung im eigentlichen Sinne, die insbesondere in der Weiterleitung der Bestellungen an die Küche, in der späteren Präsentation der Speisen und deren Darreichung an den Kunden am Tisch bestünde, auch sind keine geschlossenen, temperierten Räume speziell für den Verzehr der abgegebenen Nahrungsmittel, keine Garde-robe und keine Toiletten vorhanden, und es wird ganz überwiegend kein Geschirr, kein Mobi-liar und kein Gedeck bereitgestellt.
70 Die vom vorlegenden Gericht genannten Dienstleistungselemente bestehen nämlich nur in der Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen, d. h. ganz einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit, um einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle im Freien zu ermöglichen. Solche behelfsmäßigen Vorrichtungen erfordern nur einen geringfügi-gen personellen Einsatz. Unter diesen Umständen stellen diese Elemente nur geringfügige Nebenleistungen dar und können am dominierenden Charakter der Hauptleistung, d. h. dem einer Lieferung von Gegenständen, nichts ändern.
71 Gleiches gilt für den Verkauf von Popcorn und „Tortilla“ Chips in Kino-Foyers, wie er im Aus-gangsverfahren in der Rechtssache C 499/09 in Rede steht.
72 Wie aus der Sachverhaltsschilderung des vorlegenden Gerichts hervorgeht, sind die Zuberei-tung von Popcorn, die mit dessen Herstellung zusammenfällt, sowie die Abgabe von Popcorn und „Tortilla“ Chips in Verpackungen Bestandteil des Verkaufs dieser Waren und stellen so-mit keine vom Verkauf unabhängigen Umsätze dar. Zudem erfolgen sowohl die Zubereitung der Nahrungsmittel als auch ihre Warmhaltung gleichmäßig und nicht auf Bestellung eines bestimmten Kunden.
73 Überdies wird das Mobiliar (Stehtische, Hocker, Stühle und Bänke), das es außerdem nicht in allen Kinos gibt, in der Regel unabhängig vom Verkauf von Popcorn und „Tortilla“ Chips zur Verfügung gestellt, und die mit ihm ausgestatteten Bereiche dienen ebenso als Warte-raum wie als Treffpunkt. Der Verzehr erfolgt in der Praxis zudem im Kinosaal. Dazu sind manche Kinosäle mit Getränkehaltern ausgestattet, die zugleich dazu dienen, die Säle sauber zu halten. Das bloße Vorhandensein dieses Mobiliars, das nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr solcher Lebensmittel möglicherweise zu erleichtern, kann nicht als Dienst-leistungselement angesehen werden, das geeignet wäre, dem Umsatz insgesamt die Eigen-schaft einer Dienstleistung zu verleihen.
74 Folglich ist bei den Tätigkeiten wie den in den Ausgangsverfahren in den Rechtssachen C 497/09, C 499/09 und C 501/09 fraglichen das überwiegende Element der betreffenden Umsätze bei einer Gesamtbetrachtung die Lieferung von Speisen oder Mahlzeiten zum sofor-tigen Verzehr, wobei die diesen wesenseigene einfache, standardisierte Zubereitung und die Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen, die einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle erlaubt, eine rein untergeordnete Nebenleistung ist. Ob die Kunden die genannten behelfsmäßigen Vorrichtungen benutzen, ist ohne Bedeutung, da der sofortige Verzehr an Ort und Stelle, der kein wesentliches Merkmal des betreffenden Umsatzes dar-stellt, nicht für dessen Natur bestimmend sein kann.
75 Was die Tätigkeiten eines bei Festen und Feierlichkeiten in Anspruch genommenen Partyser-vice wie die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C 502/09 fraglichen angeht, so sind, wie sich aus Randnr. 38 des vorliegenden Urteils ergibt, je nach den Kundenwünschen meh-rere Kombinationen von Umsätzen denkbar, die von der bloßen Zubereitung und Lieferung von Speisen bis zu einer umfassenden Leistung reichen können, die auch die Bereitstellung von Geschirr, Mobiliar (Tische und Stühle), die Darreichungsform der Gerichte, die Dekorati-on, die Bereitstellung von Personal für die Bedienung und die Beratung über die Zusammen-stellung des Menüs und gegebenenfalls die Auswahl der Getränke umfassen kann.
76 Wenn eine einheitliche Leistung vorliegt, hängt die Qualifizierung des Umsatzes als Liefe-rung von Gegenständen oder als Dienstleistung von der Gesamtheit der tatsächlichen Um-stände ab, wobei die qualitativ überwiegenden Bestandteile aus der Sicht des Verbrauchers zu betrachten sind.
77 Zu den von einem Partyservice nach Hause gelieferten Speisen ist festzustellen, dass sie im Gegensatz zu denjenigen, die in Imbissständen, Imbisswagen und Kinos abgegeben werden, im Allgemeinen nicht das Ergebnis einer bloßen Standardzubereitung sind, sondern einen deutlich größeren Dienstleistungsanteil aufweisen und mehr Arbeit und Sachverstand erfor-dern. Die Qualität der Gerichte, die Kreativität sowie die Darreichungsform sind hier Elemen-te, die in den meisten Fällen für den Kunden von entscheidender Bedeutung sind. Oftmals wird dem Kunden nicht nur die Möglichkeit geboten, sein Menü zusammenzustellen, sondern sogar, Speisen nach seinen Wünschen zubereiten zu lassen. Dieser Dienstleistungsanteil kommt im Übrigen auch im Sprachgebrauch zum Ausdruck, da umgangssprachlich im Allge-meinen vom Party„service“ und den bei diesem „bestellten“ und nicht „gekauften“ Speisen gesprochen wird.
78 Sodann werden die Speisen vom Partyservice in verschlossenen Warmhalteschalen angelie-fert oder von ihm an Ort und Stelle aufgewärmt. Für den Kunden ist zudem wesentlich, dass die Speisen genau zu dem von ihm festgelegten Zeitpunkt geliefert werden.
79 Des Weiteren können die Leistungen eines Partyservice dem Verzehr dienliche Elemente, wie die Bereitstellung von Geschirr, Besteck oder sogar Mobiliar, umfassen. Diese Elemente verlangen zudem im Unterschied zur bloßen Bereitstellung einer behelfsmäßigen Infrastruk-tur im Fall von Imbissständen, Imbisswagen oder Kinos einen gewissen personellen Einsatz, um das gestellte Material herbeizuschaffen, zurückzunehmen und gegebenenfalls zu reinigen.
80 Im Licht dieser Erwägungen ist festzustellen, dass die Tätigkeit eines Partyservice außer in den Fällen, in denen dieser lediglich Standardspeisen ohne zusätzliches Dienstleistungsele-ment liefert oder in denen weitere, besondere Umstände belegen, dass die Lieferung der Speisen der dominierende Bestandteil des Umsatzes ist, eine Dienstleistung darstellt.
81 Daraus folgt, dass auf die ersten beiden Fragen in den Rechtssachen C 497/09 und C 499/09, auf die zweite Frage in der Rechtssache C 501/09 und auf die zweite und die drit-te Frage in der Rechtssache C 502/09 zu antworten ist, dass die Art. 5 und 6 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass
– die Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr an Imbissständen oder -wagen oder in Kino-Foyers eine Lieferung von Gegenständen im Sinne des genannten Art. 5 ist, wenn eine qualitative Prüfung des gesamten Umsatzes ergibt, dass die Dienstleistungselemente, die der Lieferung der Nahrungsmittel voraus und mit ihr einhergehen, nicht überwiegen;
– die Tätigkeiten eines Partyservice außer in den Fällen, in denen dieser lediglich Stan-dardspeisen ohne zusätzliches Dienstleistungselement liefert oder in denen weitere, besondere Umstände belegen, dass die Lieferung der Speisen der dominierende Be-standteil des Umsatzes ist, Dienstleistungen im Sinne des genannten Art. 6 darstellen.
Zum Begriff „Nahrungsmittel“ in Anhang H Kategorie 1 der Sechsten Richtlinie
82 Mit der dritten Frage in den Rechtssachen C 497/09 und C 499/09 sowie der ersten Frage in den Rechtssachen C 501/09 und C 502/09, die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob der Begriff „Nahrungsmittel“ in Anhang H Ka-tegorie 1 der Sechsten Richtlinie, wenn die in den einzelnen Ausgangsverfahren fraglichen Umsätze Lieferungen von Gegenständen darstellen, auch zum sofortigen Verzehr zubereitete Speisen oder Mahlzeiten umfasst.
83 Da die Sechste Richtlinie keine Definition des Begriffs „Nahrungsmittel“ enthält, ist er in seinem Kontext innerhalb der Sechsten Richtlinie auszulegen (vgl. entsprechend Urteile vom 18. Januar 2001, Kommission/Spanien, C 83/99, Slg. 2001, I 445, Randnr. 17, und vom 18. März 2010, Erotic Center, C 3/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 14).
84 Dazu ergibt sich aus Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie, dass die Mitgliedstaa-ten abweichend von dem Grundsatz, dass der normale Steuersatz gilt, einen oder zwei er-mäßigte Sätze anwenden können. Zudem können die ermäßigten Mehrwertsteuersätze nach dieser Bestimmung nur auf die Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen ange-wandt werden, die in Anhang H der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Urteile Kommissi-on/Spanien, Randnr. 18, und Erotic Center, Randnr. 15). Nach ständiger Rechtsprechung sind die Mehrwertsteuerbestimmungen, die Ausnahmen von einem Grundsatz darstellen, eng auszulegen, wobei darauf zu achten ist, dass der Ausnahme nicht ihre praktische Wirksam-keit genommen wird (vgl. insbesondere Urteile vom 30. September 2010, EMI Group, C 581/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 20, und vom 28. Oktober 2010, AXA UK, C 175/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 25).
85 Anhang H Kategorie 1 der Sechsten Richtlinie bezieht sich auf Nahrungsmittel im Allgemei-nen und trifft keine Unterscheidung oder Beschränkung nach der Art des Geschäfts, der Ver-kaufsmodalität, der Verpackung, der Zubereitung oder der Temperatur.
86 Auch sind in dieser Bestimmung des Weiteren „üblicherweise für die Zubereitung von Nah-rungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten“ und „üblicherweise als Zusatz oder als Ersatz für Nahrungs- und Futtermittel verwendete Erzeugnisse“ aufgeführt.
87 Schließlich dienen zum sofortigen Verzehr zubereitete Speisen und Mahlzeiten der Ernäh-rung der Verbraucher.
88 Mithin ist auf die dritte Frage in den Rechtssachen C 497/09 und C 499/09 sowie auf die erste Frage in den Rechtssachen C 501/09 und C 502/09 zu antworten, dass bei Lieferung von Gegenständen der Begriff „Nahrungsmittel“ in Anhang H Kategorie 1 der Sechsten Richt-linie dahin auszulegen ist, dass er auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind.

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 10.03.2011 in den verbundenen Rechtssachen C 497/09, C 499/09, C 501/09 und C 502/09 (Bog, CinemaxX, Lohmeyer, Fleischerei Nier)
http://curia.europa.eu


 

 

06.04.2011, Dr. Jochen Bachmann

Der EuGH korrigiert die deutsche Handhabung der Umsatzbesteuerung bei der Abgabe von Speisen und Getränken. Solange die Lieferung der Speisen und Getränke im Vordergrund steht, ist der ermäßigte Steuersatz anzuwenden. Das ist beim Verzehr am Imbissstand und im Kino regelmäßig der Fall.

Die Leitsätze lauten:

1. Die Art. 5 und 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuer-pflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 92/111/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass
– die Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Nahrungsmittel zum sofor-tigen Verzehr an Imbissständen oder -wagen oder in Kino-Foyers eine Lieferung von Gegenständen im Sinne des genannten Art. 5 ist, wenn eine qualitative Prüfung des gesamten Umsatzes ergibt, dass die Dienst-leistungselemente, die der Lieferung der Nahrungsmittel voraus und mit ihr einhergehen, nicht überwiegen;
– die Tätigkeiten eines Partyservice außer in den Fällen, in denen dieser lediglich Standardspeisen ohne zusätzliches Dienstleistungselement lie-fert oder in denen weitere, besondere Umstände belegen, dass die Lie-ferung der Speisen der dominierende Bestandteil des Umsatzes ist, Dienstleistungen im Sinne des genannten Art. 6 darstellen.
2. Bei Lieferung von Gegenständen ist der Begriff „Nahrungsmittel“ in Anhang H Kategorie 1 der durch die Richtlinie 92/111 geänderten Sechsten Richtlinie 77/388 dahin auszulegen, dass er auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Ver-zehr zubereitet worden sind.

Aus den Gründen:

Im vorliegenden Fall betreffen die in den Ausgangsverfahren in den Rechtssachen C 497/09 und C 501/09 fraglichen Tätigkeiten nach den Angaben des vorlegenden Gerichts den Verkauf von Würsten, Pommes frites und anderen Nahrungsmitteln an Imbisswagen oder ständen zum sofortigen warmen Verzehr.
67 Dazu ist zunächst festzustellen, dass die Abgabe solcher Waren ihr Kochen, Backen, Braten oder Aufwärmen voraussetzt, was eine Dienstleistung darstellt, die im Rahmen der Gesamt-beurteilung des fraglichen Umsatzes zum Zweck seiner Einstufung als Lieferung von Gegens-tänden oder als Dienstleistung zu berücksichtigen ist.
68 Da sich jedoch die Zubereitung des warmen Endprodukts im Wesentlichen auf einfache, standardisierte Handlungen beschränkt, die in den meisten Fällen nicht auf Bestellung eines bestimmten Kunden, sondern entsprechend der allgemein vorhersehbaren Nachfrage ständig oder in Abständen vorgenommen werden, stellt diese Zubereitung nicht den überwiegenden Bestandteil des fraglichen Umsatzes dar und kann allein diesem nicht den Charakter einer Dienstleistung verleihen.
69 Was die charakteristischen Dienstleistungsbestandteile der Restaurationsumsätze angeht, wie sie sich aus der in den Randnrn. 63 bis 65 des vorliegenden Urteils angeführten Recht-sprechung ergeben, so gibt es im Rahmen der in den Ausgangsverfahren in den Rechtssa-chen C 497/09 und C 501/09 in Rede stehenden Tätigkeiten keinen Kellnerservice, keine echte Beratung der Kunden und keine Bedienung im eigentlichen Sinne, die insbesondere in der Weiterleitung der Bestellungen an die Küche, in der späteren Präsentation der Speisen und deren Darreichung an den Kunden am Tisch bestünde, auch sind keine geschlossenen, temperierten Räume speziell für den Verzehr der abgegebenen Nahrungsmittel, keine Garde-robe und keine Toiletten vorhanden, und es wird ganz überwiegend kein Geschirr, kein Mobi-liar und kein Gedeck bereitgestellt.
70 Die vom vorlegenden Gericht genannten Dienstleistungselemente bestehen nämlich nur in der Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen, d. h. ganz einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit, um einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle im Freien zu ermöglichen. Solche behelfsmäßigen Vorrichtungen erfordern nur einen geringfügi-gen personellen Einsatz. Unter diesen Umständen stellen diese Elemente nur geringfügige Nebenleistungen dar und können am dominierenden Charakter der Hauptleistung, d. h. dem einer Lieferung von Gegenständen, nichts ändern.
71 Gleiches gilt für den Verkauf von Popcorn und „Tortilla“ Chips in Kino-Foyers, wie er im Aus-gangsverfahren in der Rechtssache C 499/09 in Rede steht.
72 Wie aus der Sachverhaltsschilderung des vorlegenden Gerichts hervorgeht, sind die Zuberei-tung von Popcorn, die mit dessen Herstellung zusammenfällt, sowie die Abgabe von Popcorn und „Tortilla“ Chips in Verpackungen Bestandteil des Verkaufs dieser Waren und stellen so-mit keine vom Verkauf unabhängigen Umsätze dar. Zudem erfolgen sowohl die Zubereitung der Nahrungsmittel als auch ihre Warmhaltung gleichmäßig und nicht auf Bestellung eines bestimmten Kunden.
73 Überdies wird das Mobiliar (Stehtische, Hocker, Stühle und Bänke), das es außerdem nicht in allen Kinos gibt, in der Regel unabhängig vom Verkauf von Popcorn und „Tortilla“ Chips zur Verfügung gestellt, und die mit ihm ausgestatteten Bereiche dienen ebenso als Warte-raum wie als Treffpunkt. Der Verzehr erfolgt in der Praxis zudem im Kinosaal. Dazu sind manche Kinosäle mit Getränkehaltern ausgestattet, die zugleich dazu dienen, die Säle sauber zu halten. Das bloße Vorhandensein dieses Mobiliars, das nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr solcher Lebensmittel möglicherweise zu erleichtern, kann nicht als Dienst-leistungselement angesehen werden, das geeignet wäre, dem Umsatz insgesamt die Eigen-schaft einer Dienstleistung zu verleihen.
74 Folglich ist bei den Tätigkeiten wie den in den Ausgangsverfahren in den Rechtssachen C 497/09, C 499/09 und C 501/09 fraglichen das überwiegende Element der betreffenden Umsätze bei einer Gesamtbetrachtung die Lieferung von Speisen oder Mahlzeiten zum sofor-tigen Verzehr, wobei die diesen wesenseigene einfache, standardisierte Zubereitung und die Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen, die einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle erlaubt, eine rein untergeordnete Nebenleistung ist. Ob die Kunden die genannten behelfsmäßigen Vorrichtungen benutzen, ist ohne Bedeutung, da der sofortige Verzehr an Ort und Stelle, der kein wesentliches Merkmal des betreffenden Umsatzes dar-stellt, nicht für dessen Natur bestimmend sein kann.
75 Was die Tätigkeiten eines bei Festen und Feierlichkeiten in Anspruch genommenen Partyser-vice wie die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C 502/09 fraglichen angeht, so sind, wie sich aus Randnr. 38 des vorliegenden Urteils ergibt, je nach den Kundenwünschen meh-rere Kombinationen von Umsätzen denkbar, die von der bloßen Zubereitung und Lieferung von Speisen bis zu einer umfassenden Leistung reichen können, die auch die Bereitstellung von Geschirr, Mobiliar (Tische und Stühle), die Darreichungsform der Gerichte, die Dekorati-on, die Bereitstellung von Personal für die Bedienung und die Beratung über die Zusammen-stellung des Menüs und gegebenenfalls die Auswahl der Getränke umfassen kann.
76 Wenn eine einheitliche Leistung vorliegt, hängt die Qualifizierung des Umsatzes als Liefe-rung von Gegenständen oder als Dienstleistung von der Gesamtheit der tatsächlichen Um-stände ab, wobei die qualitativ überwiegenden Bestandteile aus der Sicht des Verbrauchers zu betrachten sind.
77 Zu den von einem Partyservice nach Hause gelieferten Speisen ist festzustellen, dass sie im Gegensatz zu denjenigen, die in Imbissständen, Imbisswagen und Kinos abgegeben werden, im Allgemeinen nicht das Ergebnis einer bloßen Standardzubereitung sind, sondern einen deutlich größeren Dienstleistungsanteil aufweisen und mehr Arbeit und Sachverstand erfor-dern. Die Qualität der Gerichte, die Kreativität sowie die Darreichungsform sind hier Elemen-te, die in den meisten Fällen für den Kunden von entscheidender Bedeutung sind. Oftmals wird dem Kunden nicht nur die Möglichkeit geboten, sein Menü zusammenzustellen, sondern sogar, Speisen nach seinen Wünschen zubereiten zu lassen. Dieser Dienstleistungsanteil kommt im Übrigen auch im Sprachgebrauch zum Ausdruck, da umgangssprachlich im Allge-meinen vom Party„service“ und den bei diesem „bestellten“ und nicht „gekauften“ Speisen gesprochen wird.
78 Sodann werden die Speisen vom Partyservice in verschlossenen Warmhalteschalen angelie-fert oder von ihm an Ort und Stelle aufgewärmt. Für den Kunden ist zudem wesentlich, dass die Speisen genau zu dem von ihm festgelegten Zeitpunkt geliefert werden.
79 Des Weiteren können die Leistungen eines Partyservice dem Verzehr dienliche Elemente, wie die Bereitstellung von Geschirr, Besteck oder sogar Mobiliar, umfassen. Diese Elemente verlangen zudem im Unterschied zur bloßen Bereitstellung einer behelfsmäßigen Infrastruk-tur im Fall von Imbissständen, Imbisswagen oder Kinos einen gewissen personellen Einsatz, um das gestellte Material herbeizuschaffen, zurückzunehmen und gegebenenfalls zu reinigen.
80 Im Licht dieser Erwägungen ist festzustellen, dass die Tätigkeit eines Partyservice außer in den Fällen, in denen dieser lediglich Standardspeisen ohne zusätzliches Dienstleistungsele-ment liefert oder in denen weitere, besondere Umstände belegen, dass die Lieferung der Speisen der dominierende Bestandteil des Umsatzes ist, eine Dienstleistung darstellt.
81 Daraus folgt, dass auf die ersten beiden Fragen in den Rechtssachen C 497/09 und C 499/09, auf die zweite Frage in der Rechtssache C 501/09 und auf die zweite und die drit-te Frage in der Rechtssache C 502/09 zu antworten ist, dass die Art. 5 und 6 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass
– die Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr an Imbissständen oder -wagen oder in Kino-Foyers eine Lieferung von Gegenständen im Sinne des genannten Art. 5 ist, wenn eine qualitative Prüfung des gesamten Umsatzes ergibt, dass die Dienstleistungselemente, die der Lieferung der Nahrungsmittel voraus und mit ihr einhergehen, nicht überwiegen;
– die Tätigkeiten eines Partyservice außer in den Fällen, in denen dieser lediglich Stan-dardspeisen ohne zusätzliches Dienstleistungselement liefert oder in denen weitere, besondere Umstände belegen, dass die Lieferung der Speisen der dominierende Be-standteil des Umsatzes ist, Dienstleistungen im Sinne des genannten Art. 6 darstellen.
Zum Begriff „Nahrungsmittel“ in Anhang H Kategorie 1 der Sechsten Richtlinie
82 Mit der dritten Frage in den Rechtssachen C 497/09 und C 499/09 sowie der ersten Frage in den Rechtssachen C 501/09 und C 502/09, die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob der Begriff „Nahrungsmittel“ in Anhang H Ka-tegorie 1 der Sechsten Richtlinie, wenn die in den einzelnen Ausgangsverfahren fraglichen Umsätze Lieferungen von Gegenständen darstellen, auch zum sofortigen Verzehr zubereitete Speisen oder Mahlzeiten umfasst.
83 Da die Sechste Richtlinie keine Definition des Begriffs „Nahrungsmittel“ enthält, ist er in seinem Kontext innerhalb der Sechsten Richtlinie auszulegen (vgl. entsprechend Urteile vom 18. Januar 2001, Kommission/Spanien, C 83/99, Slg. 2001, I 445, Randnr. 17, und vom 18. März 2010, Erotic Center, C 3/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 14).
84 Dazu ergibt sich aus Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie, dass die Mitgliedstaa-ten abweichend von dem Grundsatz, dass der normale Steuersatz gilt, einen oder zwei er-mäßigte Sätze anwenden können. Zudem können die ermäßigten Mehrwertsteuersätze nach dieser Bestimmung nur auf die Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen ange-wandt werden, die in Anhang H der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Urteile Kommissi-on/Spanien, Randnr. 18, und Erotic Center, Randnr. 15). Nach ständiger Rechtsprechung sind die Mehrwertsteuerbestimmungen, die Ausnahmen von einem Grundsatz darstellen, eng auszulegen, wobei darauf zu achten ist, dass der Ausnahme nicht ihre praktische Wirksam-keit genommen wird (vgl. insbesondere Urteile vom 30. September 2010, EMI Group, C 581/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 20, und vom 28. Oktober 2010, AXA UK, C 175/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 25).
85 Anhang H Kategorie 1 der Sechsten Richtlinie bezieht sich auf Nahrungsmittel im Allgemei-nen und trifft keine Unterscheidung oder Beschränkung nach der Art des Geschäfts, der Ver-kaufsmodalität, der Verpackung, der Zubereitung oder der Temperatur.
86 Auch sind in dieser Bestimmung des Weiteren „üblicherweise für die Zubereitung von Nah-rungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten“ und „üblicherweise als Zusatz oder als Ersatz für Nahrungs- und Futtermittel verwendete Erzeugnisse“ aufgeführt.
87 Schließlich dienen zum sofortigen Verzehr zubereitete Speisen und Mahlzeiten der Ernäh-rung der Verbraucher.
88 Mithin ist auf die dritte Frage in den Rechtssachen C 497/09 und C 499/09 sowie auf die erste Frage in den Rechtssachen C 501/09 und C 502/09 zu antworten, dass bei Lieferung von Gegenständen der Begriff „Nahrungsmittel“ in Anhang H Kategorie 1 der Sechsten Richt-linie dahin auszulegen ist, dass er auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind.

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 10.03.2011 in den verbundenen Rechtssachen C 497/09, C 499/09, C 501/09 und C 502/09 (Bog, CinemaxX, Lohmeyer, Fleischerei Nier)
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06.04.2011, Dr. Jochen Bachmann

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