BGH: Umsatzsteuerhinterziehung durch Unterlassen: Vorsatz eines Strohmanns bei Nichtabgabe von Steuererklärungen für eine Einzelfirma

BGH, Urteil vom 11.02.20, 1 StR 119/19

Orientierungssatz

Allein das Wissen einer Angeklagten, dass sie nur deshalb als formeller Inhaber einer Einzelfirma eingesetzt worden war, weil ihr Vater aufgrund vorangegangener Insolvenzen nicht mehr formeller Inhaber oder Geschäftsführer eines Unternehmens sein konnte, rechtfertigt für sich allein nicht den Schluss, dass es die Angeklagte auch billigend in Kauf nahm, dass ihr Vater als (faktischer) Geschäftsführer seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommen würde. Zudem ist zu berücksichtigen, dass zwischen der Angeklagten und ihrem Vater eine familiäre Vertrauensbeziehung bestand, die ein Vertrauen der Angeklagten, ihr Vater werde Steuererklärungen einreichen und nicht etwa sie für Straftaten missbrauchen, möglich erscheinen ließ.

Aus den Gründen:

(...)

Eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) setzt voraus, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält (kognitives Element) und dies billigend in Kauf nimmt (voluntatives Element, vgl. BGH, Urteile vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, Rn. 21, 26 und vom 24. Januar 2018 - 1 StR 331/17, Rn. 14 mwN).

(...)

a) Allein das Wissen der Angeklagten, dass sie nur deshalb als formelle Inhaberin der Einzelfirma eingesetzt worden war, weil ihr Vater aufgrund vorangegangener Insolvenzen nicht mehr formeller Inhaber oder Geschäftsführer eines Unternehmens sein konnte, rechtfertigt für sich allein nicht den Schluss, dass die Angeklagte billigend in Kauf nahm, dass ihr Vater als von ihr mit Generalvollmacht versehener (faktischer) Geschäftsführer seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommen würde. Auch die Umstände, dass dieser schon während der noch laufenden Frist zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2011 begonnen hatte, den Geschäftsbetrieb von dem Einzelunternehmen auf die GmbH zu verlagern, und der Angeklagten erklärte, dies geschehe, um „sie da raus zu holen“, also „von etwaigen Haftungsrisiken“ zu befreien, ist für die Frage inwiefern steuerliche Verpflichtungen erfüllt wurden, nicht aussagekräftig, weil der Bezug zur Steuer nicht deutlich wird. Die Strafkammer stützt damit ihre Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht auf eine belastbare Tatsachengrundlage, sondern verharrt letztlich in Spekulationen über die innere Tatseite (vgl. BGH, Urteil vom 19 Januar 1999 - 1 StR 171/98, Rn. 8 ff.; Ott in KK-StPO, 8. Aufl., § 261 Rn. 62).

BGH, Urteil vom 11.02.20, 1 StR 119/19

Orientierungssatz

Allein das Wissen einer Angeklagten, dass sie nur deshalb als formeller Inhaber einer Einzelfirma eingesetzt worden war, weil ihr Vater aufgrund vorangegangener Insolvenzen nicht mehr formeller Inhaber oder Geschäftsführer eines Unternehmens sein konnte, rechtfertigt für sich allein nicht den Schluss, dass es die Angeklagte auch billigend in Kauf nahm, dass ihr Vater als (faktischer) Geschäftsführer seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommen würde. Zudem ist zu berücksichtigen, dass zwischen der Angeklagten und ihrem Vater eine familiäre Vertrauensbeziehung bestand, die ein Vertrauen der Angeklagten, ihr Vater werde Steuererklärungen einreichen und nicht etwa sie für Straftaten missbrauchen, möglich erscheinen ließ.

Aus den Gründen:

(...)

Eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) setzt voraus, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält (kognitives Element) und dies billigend in Kauf nimmt (voluntatives Element, vgl. BGH, Urteile vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, Rn. 21, 26 und vom 24. Januar 2018 - 1 StR 331/17, Rn. 14 mwN).

(...)

a) Allein das Wissen der Angeklagten, dass sie nur deshalb als formelle Inhaberin der Einzelfirma eingesetzt worden war, weil ihr Vater aufgrund vorangegangener Insolvenzen nicht mehr formeller Inhaber oder Geschäftsführer eines Unternehmens sein konnte, rechtfertigt für sich allein nicht den Schluss, dass die Angeklagte billigend in Kauf nahm, dass ihr Vater als von ihr mit Generalvollmacht versehener (faktischer) Geschäftsführer seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommen würde. Auch die Umstände, dass dieser schon während der noch laufenden Frist zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2011 begonnen hatte, den Geschäftsbetrieb von dem Einzelunternehmen auf die GmbH zu verlagern, und der Angeklagten erklärte, dies geschehe, um „sie da raus zu holen“, also „von etwaigen Haftungsrisiken“ zu befreien, ist für die Frage inwiefern steuerliche Verpflichtungen erfüllt wurden, nicht aussagekräftig, weil der Bezug zur Steuer nicht deutlich wird. Die Strafkammer stützt damit ihre Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht auf eine belastbare Tatsachengrundlage, sondern verharrt letztlich in Spekulationen über die innere Tatseite (vgl. BGH, Urteil vom 19 Januar 1999 - 1 StR 171/98, Rn. 8 ff.; Ott in KK-StPO, 8. Aufl., § 261 Rn. 62).

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