BGH: Darlegungs- und Beweislast beim Schadensersatzprozess des Sozialversicherungsträgers

Der zweite Senat des Bundesgerichtshofs hat in einer jüngeren Entscheidung zur Darlegungs- und Beweislast des Sozialversicherungsträgers, der Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit § 266a StGB gegen den Geschäftsführer einer GmbH geltend macht, Stellung genommen. Der Rückgriff des Sozialversicherungsträgers stellt einen „Dauerbrenner“ im Nachgang zu Strafverfahren wegen Vorenthalten und Veruntreuens von Arbeitsentgelt dar. Da § 266a StGB Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB bei Nichtabführung einbehaltener Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitsnehmers ist, versuchen die Sozialversicherungsträger regelmäßig, nach Zahlungsunfähigkeit der jeweiligen Gesellschaft zivilrechtliche Rückgriffsansprüche gegenüber dem Geschäftsführer geltend zu machen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war der Beklagte einer von zwei Geschäftsführern einer GmbH, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Neben dem Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit § 266a StGB begehrte die Klägerin, eine gesetzliche Krankenkasse, zudem die Feststellung, dass die Forderung aus einer unerlaubten Handlung herrührt. In den Vorinstanzen war die Klage zunächst abgewiesen worden. Der BGH hat der Revision stattgegeben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Aufhebung des Urteils wurde allerdings ausschließlich mit formalen Erwägungen begründet. Für die weitere Entscheidung in der Sache finden sich ausführliche Hinweise zur Darlegungs- und Beweislast, insbesondere auch was den subjektiven Tatbestand des § 266a StGB angeht.

 

Unter Ziff. III. der Entscheidung führt der BGH hierzu aus:

„III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

1. Der Sozialversicherungsträger, der den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen in Anspruch nimmt und sich hierbei, wie die Klägerin im Streitfall, auf eine deliktische Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes stützt, hat grundsätzlich alle Umstände darzulegen und zu beweisen, aus denen sich die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Schutzgesetzes ergibt; den in Anspruch genommenen Geschäftsführer trifft lediglich eine sekundäre Darlegungslast (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2001 - VI ZR 350/00, ZIP 2002, 524, 525 f. mwN). Die Darlegungs- und Beweislast des klagenden Sozialversicherungsträgers erstreckt sich auch auf den Vorsatz des Beklagten (OLG Schleswig, GmbHR 2002, 216, 217; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 6. Aufl., Rn. 615).

Die vom Berufungsgericht angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 13. Dezember 1984 - III ZR 20/83, WM 1985, 590 f.) steht dem nicht entgegen. In dieser Entscheidung wird zu der Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB allgemein ausgeführt, wenn die Verletzung eines Schutzgesetzes objektiv feststehe, müsse der das Schutzgesetz Übertretende in aller Regel Umstände darlegen und beweisen, die geeignet seien, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens auszuräumen. Dieser an die Beweislastverteilung nach § 282 BGB aF (jetzt § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) angelehnte Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn der Schadensersatzanspruch - wie im Streitfall - Vorsatz voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2008 - XI ZR 411/06, ZIP 2008, 1673 Rn. 23; Urteil vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, ZIP 2010, 1122 Rn. 38).

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt der wegen Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch genommene Geschäftsführer mit bedingtem Vorsatz, wenn er eine für möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt (BGH, Urteil vom 21. Januar 1997 - VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 314 f.; Urteil vom 9. Januar 2001 - VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422, 423; Urteil vom 2. Juni 2008 - II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 11).

Wenn die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung dem Aufgabenbereich eines anderen Geschäftsführers zugewiesen oder auf Angestellte übertragen ist, muss der Geschäftsführer im Rahmen der ihm verbliebenen Überwachungspflicht tätig werden, sobald Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der Aufgaben durch den intern zuständigen Geschäftsführer oder den mit der Erledigung beauftragten Angestellten nicht mehr gewährleistet ist. Er muss dann durch geeignete Maßnahmen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sicherstellen sowie die Einhaltung der Pflicht überwachen. Anlass für konkrete Überwachungsmaßnahmen bieten insbesondere eine finanzielle Krisensituation oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf innerhalb der Gesellschaft (BGH, Urteil vom 2. Juni 2008 - II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 11 mwN).

Bei der Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht beanstandet, die Äußerungen des Beklagten in seiner persönlichen Anhörung vor dem Amtsgericht bisher nicht ausreichend gewürdigt. Wurden Lieferantenrechnungen nicht pünktlich bezahlt und führte dies dazu, dass Materialien häufig nur gegen Vorkasse geliefert wurden, so konnte dies auf eine finanzielle Krise des Unternehmens oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf hindeuten. In diesem Zusammenhang ist auch die Bemerkung des Beklagten gegenüber dem Mitgeschäftsführer W. , er könne so nicht arbeiten, W. solle bitte die Rechnungen der Lieferanten pünktlich bezahlen, zu würdigen. Anders als das Berufungsgericht meint, sprach es auch eher für als gegen den Ernst der wirtschaftlichen Situation, wenn dem Beklagten mitgeteilt wurde, zur Abwendung einer Insolvenz wollten sich andere Unternehmen als Investoren beteiligen. Schließlich belegt die auf die Anhörung des Beklagten vor dem Amtsgericht gestützte Annahme des Berufungsgerichts, es seien ausreichende finanzielle Mittel vorhanden gewesen, um gegenüber Lieferanten in Vorlage zu treten, in Anbetracht der zuvor aufgetretenen Zahlungsschwierigkeiten noch nicht, dass das Unternehmen in der Lage gewesen ist, seinen finanziellen Verpflichtungen wieder vollständig nachzukommen.“

Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.12.2012, II ZR 220/10
DB 2013, 343

 

20.02.2013, Christian Gercke

Der zweite Senat des Bundesgerichtshofs hat in einer jüngeren Entscheidung zur Darlegungs- und Beweislast des Sozialversicherungsträgers, der Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit § 266a StGB gegen den Geschäftsführer einer GmbH geltend macht, Stellung genommen. Der Rückgriff des Sozialversicherungsträgers stellt einen „Dauerbrenner“ im Nachgang zu Strafverfahren wegen Vorenthalten und Veruntreuens von Arbeitsentgelt dar. Da § 266a StGB Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB bei Nichtabführung einbehaltener Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitsnehmers ist, versuchen die Sozialversicherungsträger regelmäßig, nach Zahlungsunfähigkeit der jeweiligen Gesellschaft zivilrechtliche Rückgriffsansprüche gegenüber dem Geschäftsführer geltend zu machen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war der Beklagte einer von zwei Geschäftsführern einer GmbH, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Neben dem Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit § 266a StGB begehrte die Klägerin, eine gesetzliche Krankenkasse, zudem die Feststellung, dass die Forderung aus einer unerlaubten Handlung herrührt. In den Vorinstanzen war die Klage zunächst abgewiesen worden. Der BGH hat der Revision stattgegeben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Aufhebung des Urteils wurde allerdings ausschließlich mit formalen Erwägungen begründet. Für die weitere Entscheidung in der Sache finden sich ausführliche Hinweise zur Darlegungs- und Beweislast, insbesondere auch was den subjektiven Tatbestand des § 266a StGB angeht.

 

Unter Ziff. III. der Entscheidung führt der BGH hierzu aus:

„III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

1. Der Sozialversicherungsträger, der den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen in Anspruch nimmt und sich hierbei, wie die Klägerin im Streitfall, auf eine deliktische Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes stützt, hat grundsätzlich alle Umstände darzulegen und zu beweisen, aus denen sich die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Schutzgesetzes ergibt; den in Anspruch genommenen Geschäftsführer trifft lediglich eine sekundäre Darlegungslast (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2001 - VI ZR 350/00, ZIP 2002, 524, 525 f. mwN). Die Darlegungs- und Beweislast des klagenden Sozialversicherungsträgers erstreckt sich auch auf den Vorsatz des Beklagten (OLG Schleswig, GmbHR 2002, 216, 217; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 6. Aufl., Rn. 615).

Die vom Berufungsgericht angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 13. Dezember 1984 - III ZR 20/83, WM 1985, 590 f.) steht dem nicht entgegen. In dieser Entscheidung wird zu der Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB allgemein ausgeführt, wenn die Verletzung eines Schutzgesetzes objektiv feststehe, müsse der das Schutzgesetz Übertretende in aller Regel Umstände darlegen und beweisen, die geeignet seien, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens auszuräumen. Dieser an die Beweislastverteilung nach § 282 BGB aF (jetzt § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) angelehnte Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn der Schadensersatzanspruch - wie im Streitfall - Vorsatz voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2008 - XI ZR 411/06, ZIP 2008, 1673 Rn. 23; Urteil vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09, ZIP 2010, 1122 Rn. 38).

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt der wegen Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch genommene Geschäftsführer mit bedingtem Vorsatz, wenn er eine für möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt (BGH, Urteil vom 21. Januar 1997 - VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 314 f.; Urteil vom 9. Januar 2001 - VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422, 423; Urteil vom 2. Juni 2008 - II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 11).

Wenn die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung dem Aufgabenbereich eines anderen Geschäftsführers zugewiesen oder auf Angestellte übertragen ist, muss der Geschäftsführer im Rahmen der ihm verbliebenen Überwachungspflicht tätig werden, sobald Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der Aufgaben durch den intern zuständigen Geschäftsführer oder den mit der Erledigung beauftragten Angestellten nicht mehr gewährleistet ist. Er muss dann durch geeignete Maßnahmen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sicherstellen sowie die Einhaltung der Pflicht überwachen. Anlass für konkrete Überwachungsmaßnahmen bieten insbesondere eine finanzielle Krisensituation oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf innerhalb der Gesellschaft (BGH, Urteil vom 2. Juni 2008 - II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 11 mwN).

Bei der Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht beanstandet, die Äußerungen des Beklagten in seiner persönlichen Anhörung vor dem Amtsgericht bisher nicht ausreichend gewürdigt. Wurden Lieferantenrechnungen nicht pünktlich bezahlt und führte dies dazu, dass Materialien häufig nur gegen Vorkasse geliefert wurden, so konnte dies auf eine finanzielle Krise des Unternehmens oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf hindeuten. In diesem Zusammenhang ist auch die Bemerkung des Beklagten gegenüber dem Mitgeschäftsführer W. , er könne so nicht arbeiten, W. solle bitte die Rechnungen der Lieferanten pünktlich bezahlen, zu würdigen. Anders als das Berufungsgericht meint, sprach es auch eher für als gegen den Ernst der wirtschaftlichen Situation, wenn dem Beklagten mitgeteilt wurde, zur Abwendung einer Insolvenz wollten sich andere Unternehmen als Investoren beteiligen. Schließlich belegt die auf die Anhörung des Beklagten vor dem Amtsgericht gestützte Annahme des Berufungsgerichts, es seien ausreichende finanzielle Mittel vorhanden gewesen, um gegenüber Lieferanten in Vorlage zu treten, in Anbetracht der zuvor aufgetretenen Zahlungsschwierigkeiten noch nicht, dass das Unternehmen in der Lage gewesen ist, seinen finanziellen Verpflichtungen wieder vollständig nachzukommen.“

Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.12.2012, II ZR 220/10
DB 2013, 343

 

20.02.2013, Christian Gercke

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