BFH zur Ablaufhemmung bei Strafverfahren und Selbstanzeige

1. Ermittlungen der Strafsachen- und Bußgeldstelle des Finanzamts stellen keine Ermittlungen der mit "der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden" i.S. des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO dar und führen daher nicht zur Ablaufhemmung nach dieser Vorschrift.

2. Wurde die Einleitung des Steuerstrafverfahrens wegen des Verdachts bestimmter, in der Einleitungsverfügung ausdrücklich genannter Steuerstraftaten dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben, dann ist der Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 5 Satz 2 AO nur für diejenigen Steueransprüche gehemmt, wegen deren vermeintlicher Verletzung das Strafverfahren tatsächlich eingeleitet und die Einleitung dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben wurde.

3. Der zeitlich auf ein Jahr begrenzte Umfang der Ablaufhemmung, die durch die Erstattung einer Selbstanzeige gemäß § 171 Abs. 9 AO ausgelöst wird, kann durch Steuerfahndungsermittlungen, die erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist aufgenommen wurden, nicht mehr erweitert werden.

Aus den Gründen

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) gaben ihre Einkommensteuererklärung 1992 am 13. September 1993 beim FA ab.

Der Kläger war als Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft der X-Firma nichtselbständig beschäftigt. Im Rahmen der Errichtung einer Y-Fabrik im Z-Staat erhielt er im Streitjahr 1992 von Mittelsmännern eine Zahlung von ca. 1 Mio. DM. Das Geld transferierte er auf ein ausländisches Bankkonto einer ihm zuzurechnenden Liechtensteinischen Stiftung. In seiner Einkommensteuererklärung blieben der Empfang der Zahlung und der Zufluss von Kapitalerträgen auf dem Auslandskonto unerwähnt. Vergleichbare Zahlungen und Zinszuflüsse erhielt der Kläger auch in anderen Jahren.

Am 5. November 2003 offenbarte er sich gegenüber den Finanzbehörden im Rahmen einer Selbstanzeige. Am selben Tag fand außerdem eine Besprechung im Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A-Stadt (im Folgenden: Strafsachen-FA) in Anwesenheit des Vorstehers, einer Mitarbeiterin der Strafsachen- und Bußgeldstelle (StraBuSt) und der Bevollmächtigten der Kläger statt. Mit Schreiben vom 12. November 2003 leitete das Strafsachen-FA gegenüber den Klägern ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung 1999 bis 2002 ein. Zugleich forderte es "zur steuerlichen Auswertung entsprechende Aufstellungen und Unterlagen ab dem Veranlagungsjahr 1992 bis 2001" an. Am 30. Januar 2004 nahm die Steuerfahndung ihre Ermittlungen auf.

Das FA wertete die Selbstanzeige in dem streitigen Einkommensteueränderungsbescheid 1992 vom 9. Juni 2005 aus.

Während der hiergegen eingelegte Einspruch erfolglos blieb, gab das FG mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 735 veröffentlichten Urteil der Klage statt. Die zehnjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) sei am 31. Dezember 2003 abgelaufen. Eine Hemmung der Verjährung sei bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt.

Mit seiner Revision vertritt das FA die Auffassung, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist im Streitfall gemäß § 171 Abs. 5 AO im Zusammenwirken mit § 171 Abs. 9 AO gehemmt gewesen sei. Das Finanzgericht (FG) habe beide Gesetzesbestimmungen verletzt.

II.
Die Revision ist nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Eintritt der Festsetzungsverjährung dem Erlass des angegriffenen Einkommensteueränderungsbescheids entgegenstand.

1. Die Änderung einer Steuerfestsetzung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Frist beträgt für die hier in Rede stehende Einkommensteuer regulär vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Soweit die Steuer hinterzogen worden ist, greift die zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ein.

Beginnen die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, so läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Das Gleiche gilt, wenn dem Steuerpflichtigen die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben worden ist (§ 171 Abs. 5 Satz 1 und 2 AO).

Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung der Fahndungsprüfung ist, dass Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich vorgenommen worden sind. Darüber hinaus muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird. Für Steueransprüche, die nicht Gegenstand der Fahndungsprüfung waren, kann keine Ablaufhemmung eintreten (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. März 1999 VIII R 19/97, BFH/NV 1999, 1186, und vom 13. Februar 2003 X R 62/00, BFH/NV 2003, 740). Die Ablaufhemmung endet nur dann, wenn aufgrund der Prüfung Steuerbescheide ergangen und diese unanfechtbar sind. Die zeitliche Grenze für den Erlass von Änderungsbescheiden im Anschluss an Fahndungsmaßnahmen wird durch den Eintritt der Verwirkung gezogen (BFH-Urteil vom 24. April 2002 I R 25/01, BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586).

Erstattet der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach § 371 AO, so endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige (§ 171 Abs. 9 AO).

2. Danach war im Streitfall die Festsetzungsfrist zum Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteueränderungsbescheids am 9. Juni 2005 bereits abgelaufen.

a) Die Einkommensteuererklärung 1992 wurde im Jahr 1993 abgegeben. Damit fiel der Beginn der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auf das Jahresende 1993. Nach den von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogenen tatsächlichen Feststellungen des FG hatten die Kläger eine Einkommensteuerhinterziehung begangen. Die gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehnjährige Festsetzungsfrist endete damit regulär am 31. Dezember 2003.

b) Der Ablauf dieser Frist wurde im Streitfall allein durch den Eingang der Selbstanzeige vom 5. November 2003 gemäß § 171 Abs. 9 AO für die Dauer eines Jahres gehemmt. Bei Erlass des streitigen Änderungsbescheids im Juni 2005 war die Jahresfrist jedoch bereits abgelaufen.

c) Andere Hemmungstatbestände sind nicht verwirklicht worden.

aa) Die Einleitung des Steuerstrafverfahrens hat den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht gemäß § 171 Abs. 5 Satz 2 AO gehemmt.

Das Strafsachen-FA hat im Streitfall die Einleitung des Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung in vier rechtlich selbstständigen Fällen --1999 bis 2002-- bekannt gegeben. Diese Maßnahme beeinflusste nur den Fristenlauf für die Steueransprüche der betreffenden Jahre, nicht aber für den streitgegenständlichen Steueranspruch 1992. Wegen des Verdachts der Steuerstraftat "Einkommensteuerhinterziehung 1992" wurde kein Ermittlungsverfahren eingeleitet und die Einleitung bekannt gegeben. Bereits deshalb ist die Vorschrift des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO tatbestandlich nicht gegeben. Denn so wie sich die Steuerfahndungsprüfung i.S. des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gegenständlich auf einen bestimmten Steueranspruch beziehen muss, um die Frist zur Festsetzung dieses Anspruchs offen zu halten (BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 1186), so greift auch der Tatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO nur in Bezug auf denjenigen konkreten Steueranspruch ein, der durch eine im Ermittlungsverfahren näher aufzuklärende Straftat verletzt worden sein soll (vgl. BFH-Urteil vom 14. April 2005 XI R 83/03, BFH/NV 2005, 1961; Frotscher in Schwarz, AO, § 171 Rz 65a). Verjährungsrechtlich will das Gesetz damit sicherstellen, dass die im Zuge des eingeleiteten Steuerstrafverfahrens gewonnenen Erkenntnisse bei der Festsetzung des betroffenen Steueranspruchs Berücksichtigung finden (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 2008 VIII R 5/06, BFHE 222, 1, BStBl II 2008, 844, zu der vergleichbaren Vorschrift des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO). Erkenntnisgewinn in diesem Sinne verspricht aber nicht irgendein Steuerstrafverfahren, sondern nur ein solches, das gerade wegen der vermeintlichen Verletzung eines bestimmten Steueranspruchs eingeleitet wurde.

bb) Bis zum 31. Dezember 2003 hat die Steuerfahndung nicht mit der Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen i.S. des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO begonnen. Denn nach den von der Revision nicht angegriffenen und damit bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG ist im Jahr 2003 allein die StraBuSt des Strafsachen-FA tätig geworden. Die von ihr ergriffenen Maßnahmen --die Anforderung von Unterlagen und vor allem die Informationsgewinnung durch Befragung des Vertreters der Kläger anlässlich des Gesprächs an Amtsstelle-- stellen zwar entgegen der Auffassung des FG gewichtige Ermittlungshandlungen dar, doch stellt § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nach seinem eindeutigen Wortlaut auf --dem Steuerpflichtigen erkennbare-- Ermittlungen der mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden ab. Daran fehlt es vorliegend.

Entgegen der Ansicht der Revision können die Ermittlungen der StraBuSt nicht der Steuerfahndung zugerechnet werden, auch wenn der Landesverordnungsgeber StraBuSt und Steuerfahndung in einem eigenständigen Strafsachen-FA organisatorisch verselbstständigt hat (vgl. Seipl in Beermann/Gosch, AO § 404 Rz 7, zur Organisationsstruktur). Der Bundesgesetzgeber hat in der hier allein maßgeblichen Verjährungsvorschrift des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO die ausdrückliche Entscheidung getroffen, dass nur Ermittlungen der Steuerfahndungsdienststellen, nicht aber anderer Untergliederungen einer Finanzbehörde, wie z.B. der StraBuSt, der Betriebsprüfungsstelle, der Vollstreckungsstelle, oder Ermittlungen des Finanzamts schlechthin eine Hemmung auslösen können. Die danach zwingend erforderliche Abgrenzung darf durch eine wie auch immer geartete Zurechnung nicht unterlaufen werden, es sei denn der Bundesgesetzgeber ordnete die Durchbrechung der in § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gesetzten Regel selbst an. In der AO findet sich aber keine Norm, wonach Ermittlungen anderer Dienststellen der Landesfinanzbehörden der Steuerfahndung als eigene verjährungshemmende Ermittlungen zuzurechnen sind. Vielmehr trennt die AO, wie sich aus den Regelungen in §§ 208 Abs. 3 und 404 AO ergibt, Aufgaben und Befugnisse der mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden streng von den Aufgaben und Befugnissen sonstiger Dienststellen oder des Finanzamts als solchem.

cc) Die im November 2003 erstattete Selbstanzeige stellt nach herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, keinen Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO dar und führt daher nicht zu einer Ablaufhemmung nach dieser Vorschrift (Kruse in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 12; Pahlke/Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 171 Rz 27; Urteil des FG Bremen vom 7. September 2006 1 K 69/06, EFG 2006, 1883; im Ergebnis gleicher Auffassung auch Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 171 AO Rz 17; Balmes in: Kühn/ v.Wedelstädt, 19. Aufl., AO, § 171 Rz 21, jeweils zur Berichtigungserklärung nach § 153 AO). Der Gesetzgeber hat den Fall des Eingangs einer Selbstanzeige oder einer Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO in der Sonderregelung des § 171 Abs. 9 AO erfasst. Dieser Norm käme keine Bedeutung mehr zu, wenn man jede Selbstanzeige als Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO beurteilen würde.

dd) Die im Januar 2004 und damit innerhalb der Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO begonnenen Ermittlungen der Steuerfahndung haben keine weitere zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ausgelöst. Vielmehr richtet sich der zeitliche Umfang der Hemmung allein nach der Sonderregelung des § 171 Abs. 9 AO. Der dort vorgesehene zeitliche Rahmen kann durch Steuerfahndungsermittlungen, die erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist aufgenommen wurden, nicht mehr erweitert werden.

Der Senat schließt sich damit der in der Literatur einhellig vertretenen Auffassung an (Ruban in HHSp, § 171 AO Rz 100; Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 AO Rz 84; Balmes in: Kühn/v.Wedelstädt, a.a.O., § 171 Rz 91; Pahlke/Koenig/Cöster, a.a.O., § 171 Rz 139; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 171 Rz 93).

(1) Der Wortlaut des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ist allerdings nicht eindeutig. Mit der Formulierung "vor Ablauf der Festsetzungsfrist" könnte die reguläre ungehemmte Frist (so Pahlke/ Koenig/Cöster, a.a.O., § 171 Rz 62 und 109; Hartmann in Beermann/Gosch, AO § 171 Rz 33 und 57) oder auch die bereits anderweitig --hier: gemäß § 171 Abs. 9 AO-- gehemmte Frist gemeint sein.

(2) Dagegen führt die Auslegung des § 171 Abs. 9 AO nach seinem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, dem Zweck und der systematischen Funktion zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber für die kurz vor Eintritt der Verjährung bei den Finanzbehörden eingehende Selbstanzeige (§ 371 AO) oder Berichtigungserklärung (§ 153 AO) eine verjährungsrechtliche Sonderregelung geschaffen hat, deren Rechtsfolgen nicht durch die Verknüpfung mit dem Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO unterlaufen werden dürfen.

Der Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 9 AO kommt nicht zum Tragen, wenn die dort vorgesehene Jahresfrist vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist endet. Auch verdrängt diese Regelung grundsätzlich nicht andere Hemmungstatbestände, deren Voraussetzungen vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist verwirklicht wurden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22. Januar 1997 II B 40/96, BFHE 181, 571, BStBl II 1997, 266; vom 14. März 2005 II B 11/04, BFH/NV 2005, 1340; vom 25. Juli 2007 V B 39/07, BFH/NV 2007, 2071; vom 14. September 2007 VIII B 20/07, BFH/NV 2008, 25; zu Ausnahmen vgl. unter II.2.c cc der Gründe dieses Urteils). Danach besteht der Zweck des § 171 Abs. 9 AO allein darin, die Finanzbehörde in die Lage zu versetzen, die kürzer als ein Jahr vor Ablauf der Festsetzungsfrist eingehende Selbstanzeige ohne Zeitdruck prüfen und eine etwaige Bescheidänderung innerhalb eines Jahres veranlassen zu können. Um die erforderliche Auswertung der Selbstanzeige oder der Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO sicherzustellen, gewährt der Gesetzgeber dem Fiskus bewusst eine Auswertungsfrist von einem Jahr (BFH-Urteil vom 28. Februar 2008 VI R 62/06, BFHE 220, 238, BStBl II 2008, 595; Lohmeyer in Pump/Leibner, Abgabenordnung, Kommentar, § 171 Rz 52; vgl. auch Protokoll Nr. 22/11 der Arbeitsgruppe "AO-Reform" des Finanzausschusses, Deutscher Bundestag, 6. Wahlperiode 1969, 6. Ausschuss). Eine zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung hat der Gesetzgeber hingegen gerade nicht geschaffen. Er ging vielmehr davon aus, dass die Prüfung der Berichtigungserklärungen innerhalb der Frist des § 171 Abs. 9 AO stattfindet und danach die Festsetzungsverjährung eintritt. Die Bewältigung der Auswertungsarbeiten innerhalb eines Jahres ist objektiv auch ohne weiteres möglich, da eine Selbstanzeige i.S. des § 371 Abs. 1 AO nur vorliegt, wenn das Finanzamt durch die Angaben in der Berichtigungserklärung in die Lage versetzt wird, ohne langwierige große Nachforschungen die zutreffende Steuer --gegebenenfalls im Schätzungswege-- festzusetzen (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. September 1974 4 StR 369/74, Neue Juristische Wochenschrift 1974, 2293; BFH-Beschluss vom 10. Juni 2005 VIII B 324/03, Steuer-Eildienst 2005, 2149; Klein/Gast-deHaan, a.a.O., § 371 Rz 8).

Mit Rücksicht auf den vorgenannten Gesetzeszweck des § 171 Abs. 9 AO ist es nicht zulässig, den Tatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO, der ohne vorherigen Eingang der Selbstanzeige für sich betrachtet keine verjährungshemmende Wirkung entfalten würde, mit Abs. 9 der Vorschrift in der von der Revision geltend gemachten Weise zu kombinieren. Denn die erforderliche Überprüfung und Auswertung der Selbstanzeige fände dann nicht innerhalb der vom Gesetzgeber eigens hierfür vorgesehenen und als ausreichend erachteten Auswertungsfrist des § 171 Abs. 9 AO statt, sondern in den --nur vom Rechtsinstitut der Verwirkung gezogenen-- zeitlichen Grenzen des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO (vgl. BFH-Urteil in BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586). Diese Gesetzesbestimmung ist zudem nach ihrem eigenen Zweck nicht auf die vorliegend zu beurteilende Konstellation zugeschnitten. Denn mit der zeitlich unbegrenzten Hemmung gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO soll die Verwertung der Ergebnisse langwieriger Ermittlungen der Fahndungsdienste in Fällen unaufgeklärter Steuerkriminalität verjährungsrechtlich abgesichert werden. Dagegen besteht die Funktion des § 171 Abs. 9 AO darin, die steuerliche Berücksichtigung von Informationen zu ermöglichen, die ein "reuiger Steuersünder" in qualifizierter Form selbst an das Finanzamt geliefert hat, um in den Genuss der Straffreiheit zu gelangen. Einer zeitlich unbegrenzten Hemmung bedarf es nach der Einschätzung des Gesetzgebers gerade nicht.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 8. Juli 2009 VIII R 5/07

 

 

 

22.11.2009, Dr. Jochen Bachmann

1. Ermittlungen der Strafsachen- und Bußgeldstelle des Finanzamts stellen keine Ermittlungen der mit "der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden" i.S. des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO dar und führen daher nicht zur Ablaufhemmung nach dieser Vorschrift.

2. Wurde die Einleitung des Steuerstrafverfahrens wegen des Verdachts bestimmter, in der Einleitungsverfügung ausdrücklich genannter Steuerstraftaten dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben, dann ist der Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 5 Satz 2 AO nur für diejenigen Steueransprüche gehemmt, wegen deren vermeintlicher Verletzung das Strafverfahren tatsächlich eingeleitet und die Einleitung dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben wurde.

3. Der zeitlich auf ein Jahr begrenzte Umfang der Ablaufhemmung, die durch die Erstattung einer Selbstanzeige gemäß § 171 Abs. 9 AO ausgelöst wird, kann durch Steuerfahndungsermittlungen, die erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist aufgenommen wurden, nicht mehr erweitert werden.

Aus den Gründen

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) gaben ihre Einkommensteuererklärung 1992 am 13. September 1993 beim FA ab.

Der Kläger war als Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft der X-Firma nichtselbständig beschäftigt. Im Rahmen der Errichtung einer Y-Fabrik im Z-Staat erhielt er im Streitjahr 1992 von Mittelsmännern eine Zahlung von ca. 1 Mio. DM. Das Geld transferierte er auf ein ausländisches Bankkonto einer ihm zuzurechnenden Liechtensteinischen Stiftung. In seiner Einkommensteuererklärung blieben der Empfang der Zahlung und der Zufluss von Kapitalerträgen auf dem Auslandskonto unerwähnt. Vergleichbare Zahlungen und Zinszuflüsse erhielt der Kläger auch in anderen Jahren.

Am 5. November 2003 offenbarte er sich gegenüber den Finanzbehörden im Rahmen einer Selbstanzeige. Am selben Tag fand außerdem eine Besprechung im Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A-Stadt (im Folgenden: Strafsachen-FA) in Anwesenheit des Vorstehers, einer Mitarbeiterin der Strafsachen- und Bußgeldstelle (StraBuSt) und der Bevollmächtigten der Kläger statt. Mit Schreiben vom 12. November 2003 leitete das Strafsachen-FA gegenüber den Klägern ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung 1999 bis 2002 ein. Zugleich forderte es "zur steuerlichen Auswertung entsprechende Aufstellungen und Unterlagen ab dem Veranlagungsjahr 1992 bis 2001" an. Am 30. Januar 2004 nahm die Steuerfahndung ihre Ermittlungen auf.

Das FA wertete die Selbstanzeige in dem streitigen Einkommensteueränderungsbescheid 1992 vom 9. Juni 2005 aus.

Während der hiergegen eingelegte Einspruch erfolglos blieb, gab das FG mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 735 veröffentlichten Urteil der Klage statt. Die zehnjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) sei am 31. Dezember 2003 abgelaufen. Eine Hemmung der Verjährung sei bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt.

Mit seiner Revision vertritt das FA die Auffassung, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist im Streitfall gemäß § 171 Abs. 5 AO im Zusammenwirken mit § 171 Abs. 9 AO gehemmt gewesen sei. Das Finanzgericht (FG) habe beide Gesetzesbestimmungen verletzt.

II.
Die Revision ist nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Eintritt der Festsetzungsverjährung dem Erlass des angegriffenen Einkommensteueränderungsbescheids entgegenstand.

1. Die Änderung einer Steuerfestsetzung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Frist beträgt für die hier in Rede stehende Einkommensteuer regulär vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Soweit die Steuer hinterzogen worden ist, greift die zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ein.

Beginnen die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, so läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Das Gleiche gilt, wenn dem Steuerpflichtigen die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben worden ist (§ 171 Abs. 5 Satz 1 und 2 AO).

Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung der Fahndungsprüfung ist, dass Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich vorgenommen worden sind. Darüber hinaus muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird. Für Steueransprüche, die nicht Gegenstand der Fahndungsprüfung waren, kann keine Ablaufhemmung eintreten (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. März 1999 VIII R 19/97, BFH/NV 1999, 1186, und vom 13. Februar 2003 X R 62/00, BFH/NV 2003, 740). Die Ablaufhemmung endet nur dann, wenn aufgrund der Prüfung Steuerbescheide ergangen und diese unanfechtbar sind. Die zeitliche Grenze für den Erlass von Änderungsbescheiden im Anschluss an Fahndungsmaßnahmen wird durch den Eintritt der Verwirkung gezogen (BFH-Urteil vom 24. April 2002 I R 25/01, BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586).

Erstattet der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach § 371 AO, so endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige (§ 171 Abs. 9 AO).

2. Danach war im Streitfall die Festsetzungsfrist zum Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteueränderungsbescheids am 9. Juni 2005 bereits abgelaufen.

a) Die Einkommensteuererklärung 1992 wurde im Jahr 1993 abgegeben. Damit fiel der Beginn der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auf das Jahresende 1993. Nach den von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogenen tatsächlichen Feststellungen des FG hatten die Kläger eine Einkommensteuerhinterziehung begangen. Die gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehnjährige Festsetzungsfrist endete damit regulär am 31. Dezember 2003.

b) Der Ablauf dieser Frist wurde im Streitfall allein durch den Eingang der Selbstanzeige vom 5. November 2003 gemäß § 171 Abs. 9 AO für die Dauer eines Jahres gehemmt. Bei Erlass des streitigen Änderungsbescheids im Juni 2005 war die Jahresfrist jedoch bereits abgelaufen.

c) Andere Hemmungstatbestände sind nicht verwirklicht worden.

aa) Die Einleitung des Steuerstrafverfahrens hat den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht gemäß § 171 Abs. 5 Satz 2 AO gehemmt.

Das Strafsachen-FA hat im Streitfall die Einleitung des Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung in vier rechtlich selbstständigen Fällen --1999 bis 2002-- bekannt gegeben. Diese Maßnahme beeinflusste nur den Fristenlauf für die Steueransprüche der betreffenden Jahre, nicht aber für den streitgegenständlichen Steueranspruch 1992. Wegen des Verdachts der Steuerstraftat "Einkommensteuerhinterziehung 1992" wurde kein Ermittlungsverfahren eingeleitet und die Einleitung bekannt gegeben. Bereits deshalb ist die Vorschrift des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO tatbestandlich nicht gegeben. Denn so wie sich die Steuerfahndungsprüfung i.S. des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gegenständlich auf einen bestimmten Steueranspruch beziehen muss, um die Frist zur Festsetzung dieses Anspruchs offen zu halten (BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 1186), so greift auch der Tatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO nur in Bezug auf denjenigen konkreten Steueranspruch ein, der durch eine im Ermittlungsverfahren näher aufzuklärende Straftat verletzt worden sein soll (vgl. BFH-Urteil vom 14. April 2005 XI R 83/03, BFH/NV 2005, 1961; Frotscher in Schwarz, AO, § 171 Rz 65a). Verjährungsrechtlich will das Gesetz damit sicherstellen, dass die im Zuge des eingeleiteten Steuerstrafverfahrens gewonnenen Erkenntnisse bei der Festsetzung des betroffenen Steueranspruchs Berücksichtigung finden (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 2008 VIII R 5/06, BFHE 222, 1, BStBl II 2008, 844, zu der vergleichbaren Vorschrift des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO). Erkenntnisgewinn in diesem Sinne verspricht aber nicht irgendein Steuerstrafverfahren, sondern nur ein solches, das gerade wegen der vermeintlichen Verletzung eines bestimmten Steueranspruchs eingeleitet wurde.

bb) Bis zum 31. Dezember 2003 hat die Steuerfahndung nicht mit der Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen i.S. des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO begonnen. Denn nach den von der Revision nicht angegriffenen und damit bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG ist im Jahr 2003 allein die StraBuSt des Strafsachen-FA tätig geworden. Die von ihr ergriffenen Maßnahmen --die Anforderung von Unterlagen und vor allem die Informationsgewinnung durch Befragung des Vertreters der Kläger anlässlich des Gesprächs an Amtsstelle-- stellen zwar entgegen der Auffassung des FG gewichtige Ermittlungshandlungen dar, doch stellt § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nach seinem eindeutigen Wortlaut auf --dem Steuerpflichtigen erkennbare-- Ermittlungen der mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden ab. Daran fehlt es vorliegend.

Entgegen der Ansicht der Revision können die Ermittlungen der StraBuSt nicht der Steuerfahndung zugerechnet werden, auch wenn der Landesverordnungsgeber StraBuSt und Steuerfahndung in einem eigenständigen Strafsachen-FA organisatorisch verselbstständigt hat (vgl. Seipl in Beermann/Gosch, AO § 404 Rz 7, zur Organisationsstruktur). Der Bundesgesetzgeber hat in der hier allein maßgeblichen Verjährungsvorschrift des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO die ausdrückliche Entscheidung getroffen, dass nur Ermittlungen der Steuerfahndungsdienststellen, nicht aber anderer Untergliederungen einer Finanzbehörde, wie z.B. der StraBuSt, der Betriebsprüfungsstelle, der Vollstreckungsstelle, oder Ermittlungen des Finanzamts schlechthin eine Hemmung auslösen können. Die danach zwingend erforderliche Abgrenzung darf durch eine wie auch immer geartete Zurechnung nicht unterlaufen werden, es sei denn der Bundesgesetzgeber ordnete die Durchbrechung der in § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gesetzten Regel selbst an. In der AO findet sich aber keine Norm, wonach Ermittlungen anderer Dienststellen der Landesfinanzbehörden der Steuerfahndung als eigene verjährungshemmende Ermittlungen zuzurechnen sind. Vielmehr trennt die AO, wie sich aus den Regelungen in §§ 208 Abs. 3 und 404 AO ergibt, Aufgaben und Befugnisse der mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden streng von den Aufgaben und Befugnissen sonstiger Dienststellen oder des Finanzamts als solchem.

cc) Die im November 2003 erstattete Selbstanzeige stellt nach herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, keinen Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO dar und führt daher nicht zu einer Ablaufhemmung nach dieser Vorschrift (Kruse in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 12; Pahlke/Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 171 Rz 27; Urteil des FG Bremen vom 7. September 2006 1 K 69/06, EFG 2006, 1883; im Ergebnis gleicher Auffassung auch Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 171 AO Rz 17; Balmes in: Kühn/ v.Wedelstädt, 19. Aufl., AO, § 171 Rz 21, jeweils zur Berichtigungserklärung nach § 153 AO). Der Gesetzgeber hat den Fall des Eingangs einer Selbstanzeige oder einer Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO in der Sonderregelung des § 171 Abs. 9 AO erfasst. Dieser Norm käme keine Bedeutung mehr zu, wenn man jede Selbstanzeige als Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO beurteilen würde.

dd) Die im Januar 2004 und damit innerhalb der Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO begonnenen Ermittlungen der Steuerfahndung haben keine weitere zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ausgelöst. Vielmehr richtet sich der zeitliche Umfang der Hemmung allein nach der Sonderregelung des § 171 Abs. 9 AO. Der dort vorgesehene zeitliche Rahmen kann durch Steuerfahndungsermittlungen, die erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist aufgenommen wurden, nicht mehr erweitert werden.

Der Senat schließt sich damit der in der Literatur einhellig vertretenen Auffassung an (Ruban in HHSp, § 171 AO Rz 100; Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 AO Rz 84; Balmes in: Kühn/v.Wedelstädt, a.a.O., § 171 Rz 91; Pahlke/Koenig/Cöster, a.a.O., § 171 Rz 139; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 171 Rz 93).

(1) Der Wortlaut des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ist allerdings nicht eindeutig. Mit der Formulierung "vor Ablauf der Festsetzungsfrist" könnte die reguläre ungehemmte Frist (so Pahlke/ Koenig/Cöster, a.a.O., § 171 Rz 62 und 109; Hartmann in Beermann/Gosch, AO § 171 Rz 33 und 57) oder auch die bereits anderweitig --hier: gemäß § 171 Abs. 9 AO-- gehemmte Frist gemeint sein.

(2) Dagegen führt die Auslegung des § 171 Abs. 9 AO nach seinem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, dem Zweck und der systematischen Funktion zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber für die kurz vor Eintritt der Verjährung bei den Finanzbehörden eingehende Selbstanzeige (§ 371 AO) oder Berichtigungserklärung (§ 153 AO) eine verjährungsrechtliche Sonderregelung geschaffen hat, deren Rechtsfolgen nicht durch die Verknüpfung mit dem Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO unterlaufen werden dürfen.

Der Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 9 AO kommt nicht zum Tragen, wenn die dort vorgesehene Jahresfrist vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist endet. Auch verdrängt diese Regelung grundsätzlich nicht andere Hemmungstatbestände, deren Voraussetzungen vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist verwirklicht wurden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22. Januar 1997 II B 40/96, BFHE 181, 571, BStBl II 1997, 266; vom 14. März 2005 II B 11/04, BFH/NV 2005, 1340; vom 25. Juli 2007 V B 39/07, BFH/NV 2007, 2071; vom 14. September 2007 VIII B 20/07, BFH/NV 2008, 25; zu Ausnahmen vgl. unter II.2.c cc der Gründe dieses Urteils). Danach besteht der Zweck des § 171 Abs. 9 AO allein darin, die Finanzbehörde in die Lage zu versetzen, die kürzer als ein Jahr vor Ablauf der Festsetzungsfrist eingehende Selbstanzeige ohne Zeitdruck prüfen und eine etwaige Bescheidänderung innerhalb eines Jahres veranlassen zu können. Um die erforderliche Auswertung der Selbstanzeige oder der Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO sicherzustellen, gewährt der Gesetzgeber dem Fiskus bewusst eine Auswertungsfrist von einem Jahr (BFH-Urteil vom 28. Februar 2008 VI R 62/06, BFHE 220, 238, BStBl II 2008, 595; Lohmeyer in Pump/Leibner, Abgabenordnung, Kommentar, § 171 Rz 52; vgl. auch Protokoll Nr. 22/11 der Arbeitsgruppe "AO-Reform" des Finanzausschusses, Deutscher Bundestag, 6. Wahlperiode 1969, 6. Ausschuss). Eine zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung hat der Gesetzgeber hingegen gerade nicht geschaffen. Er ging vielmehr davon aus, dass die Prüfung der Berichtigungserklärungen innerhalb der Frist des § 171 Abs. 9 AO stattfindet und danach die Festsetzungsverjährung eintritt. Die Bewältigung der Auswertungsarbeiten innerhalb eines Jahres ist objektiv auch ohne weiteres möglich, da eine Selbstanzeige i.S. des § 371 Abs. 1 AO nur vorliegt, wenn das Finanzamt durch die Angaben in der Berichtigungserklärung in die Lage versetzt wird, ohne langwierige große Nachforschungen die zutreffende Steuer --gegebenenfalls im Schätzungswege-- festzusetzen (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. September 1974 4 StR 369/74, Neue Juristische Wochenschrift 1974, 2293; BFH-Beschluss vom 10. Juni 2005 VIII B 324/03, Steuer-Eildienst 2005, 2149; Klein/Gast-deHaan, a.a.O., § 371 Rz 8).

Mit Rücksicht auf den vorgenannten Gesetzeszweck des § 171 Abs. 9 AO ist es nicht zulässig, den Tatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO, der ohne vorherigen Eingang der Selbstanzeige für sich betrachtet keine verjährungshemmende Wirkung entfalten würde, mit Abs. 9 der Vorschrift in der von der Revision geltend gemachten Weise zu kombinieren. Denn die erforderliche Überprüfung und Auswertung der Selbstanzeige fände dann nicht innerhalb der vom Gesetzgeber eigens hierfür vorgesehenen und als ausreichend erachteten Auswertungsfrist des § 171 Abs. 9 AO statt, sondern in den --nur vom Rechtsinstitut der Verwirkung gezogenen-- zeitlichen Grenzen des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO (vgl. BFH-Urteil in BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586). Diese Gesetzesbestimmung ist zudem nach ihrem eigenen Zweck nicht auf die vorliegend zu beurteilende Konstellation zugeschnitten. Denn mit der zeitlich unbegrenzten Hemmung gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO soll die Verwertung der Ergebnisse langwieriger Ermittlungen der Fahndungsdienste in Fällen unaufgeklärter Steuerkriminalität verjährungsrechtlich abgesichert werden. Dagegen besteht die Funktion des § 171 Abs. 9 AO darin, die steuerliche Berücksichtigung von Informationen zu ermöglichen, die ein "reuiger Steuersünder" in qualifizierter Form selbst an das Finanzamt geliefert hat, um in den Genuss der Straffreiheit zu gelangen. Einer zeitlich unbegrenzten Hemmung bedarf es nach der Einschätzung des Gesetzgebers gerade nicht.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 8. Juli 2009 VIII R 5/07

 

 

 

22.11.2009, Dr. Jochen Bachmann

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