BFH setzt Einkommensteuerbescheid wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Spe
In einem Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheides hat der Bundesfinanzhof entschieden: Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides für das Jahr 1997, mit dem das FA Einkommensteuer auf Spekulationsgewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren festgesetzt hat. Aus den Gründen: Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der für die Besteuerung des hier streitigen Spekulationsgewinns maßgeblichen Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergeben sich aus dem Beschluss vom 16. Juli 2002 IX R 62/99 (BFHE 199, 451, BStBl II 2003, 74), mit dem der Senat eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt hat, ob diese Norm mit dem Grundgesetz (GG) insoweit unvereinbar ist, als die Durchsetzung des Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt wird. Allerdings hat das FG in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH zutreffend hervorgehoben, dass das BVerfG aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich eine Nichtigkeitserklärung vermeiden und es statt dessen dem Gesetzgeber überlassen kann, innerhalb angemessener Frist im Rahmen seines weitgehenden Gestaltungsspielraums eine Neuregelung auszuarbeiten, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Eine Übergangsregelung hat das BVerfG z.B. im sog. "Zinsurteil" (Urteil des BVerfG vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) angeordnet und entschieden, dass der durch die unzulänglichen Erhebungsregelungen bewirkte Grundrechtsverstoß nach Klarstellung durch das BVerfG noch für eine Übergangszeit hinzunehmen ist. Die Notwendigkeit einer solchen Übergangsfrist rechtfertige sich insbesondere im Blick auf das rechtsstaatliche Kontinuitätsgebot (BVerfG in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C. II. 5. b). Folge einer derartigen Übergangsfrist wäre auch im Streitfall, dass der Verfassungsverstoß für eine Übergangszeit noch hinzunehmen wäre. In diesem Zeitraum bliebe die materielle Besteuerungsgrundlage weiterhin gültig, so dass ihre Verfassungswidrigkeit nicht zugleich die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Steuerbescheides bewirke. Bei § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG ist indes von einer am rechtsstaatlichen Kontinuitätsgebot orientierten Übergangsfrist nicht ohne weiteres auszugehen. Zwar geht es hier wie auch bei der im BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 geprüften Zinsbesteuerung vornehmlich darum, dass die entsprechende Norm wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend nicht durchgesetzt werden kann und darum mit dem GG unvereinbar ist. Das BVerfG hat den für eine Übergangszeit hinzunehmenden Gleichheitsverstoß bei der Zinsbesteuerung indes maßgeblich damit gerechtfertigt, dass es erstmals mit seiner Entscheidung in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 die verfassungsrechtliche Lage klargestellt hat (vgl. das BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter 5.). Diese Erwägung trifft für die Besteuerung der Spekulationseinkünfte nicht zu. Denn seit dem Zinsurteil des BVerfG (in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) ist klar, dass ein strukturelles Vollzugsdefizit zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Besteuerungsvorschrift führen kann. Diese Fragestellung ist insbesondere bei den Spekulationseinkünften stets problematisiert worden (vgl. dazu den Senatsbeschluss in BFHE 199, 451, BStBl II 2003, 74, unter B. II. 3., m.w.N.). c) Der Antragsteller kann auch verlangen, dass der hier streitige Spekulationsgewinn im Wege der Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides unberücksichtigt bleibt. Sein verfassungsrechtlicher Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) tritt nicht hinter das öffentliche Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft zurück. Ein sofortiger Vollzug der hier streitigen Einkommensteuer auf Spekulationsgewinne würde den Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG konkretisieren und perpetuieren. Denn es ist der gleichmäßige Belastungserfolg, den der Steuerzugriff. Das bedeutet aber, dass gerade diejenigen Steuerpflichtigen, deren Einkünfte --wie hier-- der Besteuerung gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 EStG unterworfen werden, durch den Vollzug der Norm einen spezifischen Verfassungsverstoß erfahren. Dagegen sind keine überwiegenden öffentlichen Belange ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, den Rechtsschutzanspruch des Antragstellers zurückzustellen. Insbesondere das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltswirtschaft ist im Streitfall nicht so gewichtig, um das Interesse des Antragstellers hintanzusetzen: Der Fiskus selbst hat nämlich die Durchsetzung des Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt. Auch tatsächlich wird die materielle Steuernorm durch die Finanzämter nicht vollzogen. Verhindert das staatliche Gemeinwesen einen effektiven Steuerzugriff durch strukturell gegenläufige Normen und tatsächliches Nichtvollziehen aber selbst, so kann es sich nicht darauf berufen, eine Aussetzung der Vollziehung bei den mehr oder weniger zufällig erfassten Spekulationsgewinnen führe zu hohen Steuerausfällen. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11. Juni 2003 IX B 16/03
08.07.2003, Dr. Bachmann
In einem Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheides hat der Bundesfinanzhof entschieden: Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides für das Jahr 1997, mit dem das FA Einkommensteuer auf Spekulationsgewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren festgesetzt hat. Aus den Gründen: Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der für die Besteuerung des hier streitigen Spekulationsgewinns maßgeblichen Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergeben sich aus dem Beschluss vom 16. Juli 2002 IX R 62/99 (BFHE 199, 451, BStBl II 2003, 74), mit dem der Senat eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt hat, ob diese Norm mit dem Grundgesetz (GG) insoweit unvereinbar ist, als die Durchsetzung des Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt wird. Allerdings hat das FG in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH zutreffend hervorgehoben, dass das BVerfG aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich eine Nichtigkeitserklärung vermeiden und es statt dessen dem Gesetzgeber überlassen kann, innerhalb angemessener Frist im Rahmen seines weitgehenden Gestaltungsspielraums eine Neuregelung auszuarbeiten, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Eine Übergangsregelung hat das BVerfG z.B. im sog. "Zinsurteil" (Urteil des BVerfG vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) angeordnet und entschieden, dass der durch die unzulänglichen Erhebungsregelungen bewirkte Grundrechtsverstoß nach Klarstellung durch das BVerfG noch für eine Übergangszeit hinzunehmen ist. Die Notwendigkeit einer solchen Übergangsfrist rechtfertige sich insbesondere im Blick auf das rechtsstaatliche Kontinuitätsgebot (BVerfG in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C. II. 5. b). Folge einer derartigen Übergangsfrist wäre auch im Streitfall, dass der Verfassungsverstoß für eine Übergangszeit noch hinzunehmen wäre. In diesem Zeitraum bliebe die materielle Besteuerungsgrundlage weiterhin gültig, so dass ihre Verfassungswidrigkeit nicht zugleich die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Steuerbescheides bewirke. Bei § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG ist indes von einer am rechtsstaatlichen Kontinuitätsgebot orientierten Übergangsfrist nicht ohne weiteres auszugehen. Zwar geht es hier wie auch bei der im BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 geprüften Zinsbesteuerung vornehmlich darum, dass die entsprechende Norm wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend nicht durchgesetzt werden kann und darum mit dem GG unvereinbar ist. Das BVerfG hat den für eine Übergangszeit hinzunehmenden Gleichheitsverstoß bei der Zinsbesteuerung indes maßgeblich damit gerechtfertigt, dass es erstmals mit seiner Entscheidung in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 die verfassungsrechtliche Lage klargestellt hat (vgl. das BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter 5.). Diese Erwägung trifft für die Besteuerung der Spekulationseinkünfte nicht zu. Denn seit dem Zinsurteil des BVerfG (in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) ist klar, dass ein strukturelles Vollzugsdefizit zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Besteuerungsvorschrift führen kann. Diese Fragestellung ist insbesondere bei den Spekulationseinkünften stets problematisiert worden (vgl. dazu den Senatsbeschluss in BFHE 199, 451, BStBl II 2003, 74, unter B. II. 3., m.w.N.). c) Der Antragsteller kann auch verlangen, dass der hier streitige Spekulationsgewinn im Wege der Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides unberücksichtigt bleibt. Sein verfassungsrechtlicher Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) tritt nicht hinter das öffentliche Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft zurück. Ein sofortiger Vollzug der hier streitigen Einkommensteuer auf Spekulationsgewinne würde den Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG konkretisieren und perpetuieren. Denn es ist der gleichmäßige Belastungserfolg, den der Steuerzugriff. Das bedeutet aber, dass gerade diejenigen Steuerpflichtigen, deren Einkünfte --wie hier-- der Besteuerung gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 EStG unterworfen werden, durch den Vollzug der Norm einen spezifischen Verfassungsverstoß erfahren. Dagegen sind keine überwiegenden öffentlichen Belange ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, den Rechtsschutzanspruch des Antragstellers zurückzustellen. Insbesondere das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltswirtschaft ist im Streitfall nicht so gewichtig, um das Interesse des Antragstellers hintanzusetzen: Der Fiskus selbst hat nämlich die Durchsetzung des Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt. Auch tatsächlich wird die materielle Steuernorm durch die Finanzämter nicht vollzogen. Verhindert das staatliche Gemeinwesen einen effektiven Steuerzugriff durch strukturell gegenläufige Normen und tatsächliches Nichtvollziehen aber selbst, so kann es sich nicht darauf berufen, eine Aussetzung der Vollziehung bei den mehr oder weniger zufällig erfassten Spekulationsgewinnen führe zu hohen Steuerausfällen. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11. Juni 2003 IX B 16/03
08.07.2003, Dr. Bachmann